Erdoğan kritisiert Serien-Täter!
Seit zwei Jahren sitzen jeden Mittwochabend durchschnittlich 10 Millionen Türken vor dem Fernseher und sehen sich “Muhteşem Yüzyıl“ also “Das prächtige Jahrhundert“ an. Die historische Serie handelt von dem mächtigsten Sultan des Osmanischen Reiches, Sultan Süleyman I., der 1520 den Thron bestieg und 46 Jahre an der Macht blieb. Die längste und bedeutendste Regierungszeit in der osmanischen Geschichte.
Süleyman I. hat nicht nur in 13 Feldzügen die Grenzen des Reiches in allen Richtungen entscheidend ausgedehnt, er ist auch der Sultan, der vor den Türen des Abendlandes stand. 1528 belagerte er mit 120.000 Soldaten Wien und obwohl er sich zurückziehen musste, hinterließ er einen bleibenden Eindruck: in Europa herrschte die Angst vor der ”Türkengefahr“. Er prägte die Geschichte nicht nur als Feldherr, sondern auch als Bauherr. Sultan Süleyman I. ließ neben hunderten von Brücken, auch jenes Leitungssystem, das Istanbul heute noch mit Trinkwasser versorgt und Moscheen, die die unverwechselbare Silhouette der Bosporus-Metropole prägen, bauen. Als Dichter schrieb er 3.500 Gedichte, förderte die Entwicklung der osmanischen Literatur und Kunst wie kein anderer Sultan vor und nach ihm. Im hohen Alter von 70 Jahren brach Süleyman I. zu einem Ungarn-Feldzug auf und starb am 6. September 1566 während der Belagerung Szigetvárs.
Die türkische Geschichtsschreibung ehrt ihn als ”Kanuni“, den “Gesetzgebenden“, als Muhteşem“, den ”Prächtigen“. Die bekannte türkische Drehbuchautorin Meral Okay überraschte die Zuschauer mit einer historischen Serie über das Leben des Sultans: ”Muhteşem Yüzyıl“ – das ”Prächtige Jahrhundert“, die im Januar 2011 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Was sie jedoch schrieb, steht in keinem Geschichtsbuch. Ihr Sultan Süleyman I. ist ein Mann, der sein Leben nicht auf Schlachtfeldern verbringt, sondern in seinem gut gefüllten Harem. Dabei hat der Sultan nur 1,5 Jahre seiner 46-jährigen Regierungszeit in Istanbul verbracht.
Die Serie dreht sich um Intrigen, Machtspiele und die Bedeutung der Frauen, die den Sultan wie eine Marionette lenken. Und das führt zu Unmut. Von Anfang an wurde die Serie scharf kritisiert. Darf man die Geschichte umschreiben? Die tragende Rolle spielt Hürrem Sultan, eine ukrainische Sklavin, die Lieblingsfrau des Sultans, die alles tut, um auch die Hauptfrau zu werden und zu bleiben. Die Darstellung der Frauen entspricht in keinster Weise den historischen Vorbildern. In der Serie sehen wir tiefdekolletierte Kleider, keine bedeckten Haare und selbstbewusste Damen, die über Macht verfügen, die Frauen nicht einmal heute haben.
Die Liste der geschichtlichen Ungenauigkeiten ist lang und spaltet das Land. Während die einen sagen: eine Serie ist keine Dokumentation, sie muss nicht historisch genau sein, protestieren die anderen gegen die Verdrehung der geschichtlichen Tatsachen. Hätte die Drehbuchautorin einen fiktiven Sultan geschaffen und sein Leben nach ihrer Fantasie niedergeschrieben, gäbe es keine Einwände. Aber sie hat einen Sultan neu geschaffen, den es gab und sein Leben nach ihren Vorstellungen umgeschrieben. Und das ist das Problem.
Vor allem, weil die Serie nicht nur in der Türkei, sondern in über dreißig Ländern Südosteuropas, Zentralasiens und im arabischen Raum von über 150 Millionen Menschen verfolgt wird. Menschen, die nicht geschichtlich bewandert sind, bekommen Woche für Woche einen Sultan gezeigt, den es so nie gab.
Nun hat sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan kritisch über ”Muhteşem Yüzyıl“ geäußert und somit die Diskussionen auf die politische Ebene getragen. Er verurteilte die Macher der Serie aufs Schärfste und erklärte, dass das Land so einen “Kanuni“ nicht gehabt und nicht kennengelernt hat. In seiner Rede auf der Eröffnung der ”Türkischen Innovationswoche“ sagte Erdoğan: „Einige behaupten, dass unsere Geschichte aus Kriegen, Schwertern, Intrigen, Machtkämpfen und leider aus einem Harem bestand. Wer nicht von uns ist, kann unsere Geschichte erzählen wie er möchte. Wir aber müssen unsere eigene Gesichte, unsere Zivilisation richtig kennenlernen, richtig wiedergeben, uns von der Geschichte inspirieren lassen und unsere Zukunft gestalten. Deshalb werden wir niemals erniedrigt, vertrauenslos, verängstigt oder resigniert sein. Dieses Volk war in der Vergangenheit Wegbereiter und hat die Kraft, auch heute Vorreiter zu sein.“
Die Serie hat nicht nur treue Anhänger, sondern auch fanatische Gegner. Einige haben sogar Klage bei der Staatsanwaltschaft eingereicht und fordern die Absetzung von “Muhteşem Yüzyıl“. Das ganze Land diskutiert nun darüber, ob die Serie verboten werden soll oder nicht. Viele sind gespannt wie es nun weitergeht, nicht in der Serie, sondern mit der Serie.
Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.
Es hat Herrn Erdogan nicht weiter gestört, daß dieselben Menschen, die nicht geschichtlich bewandert sind, “Fetih 1453″ gesehen haben. Ganz im Gegenteil, er hat diesen Film über alle Maßen gelobt und praktisch als “Wahrheit” über die Eroberung Konstantinopels verkauft. Dieser Film hat natürlich schön in sein Weltbild gepaßt, was bei der Serie offenbar nicht der Fall ist. Dabei ist weder ein Film noch eine Serie eine Dokumentation, die nichts als die reine Wahrheit wiedergibt. Tatsächlich bekommen das nicht einmal echte Dokumentationen hin, die auch immer gefärbt sind von der Meinung der Macher. Hätten die Macher der Serie einen Phantasie-Sultan erfunden, hätten sie mit derselben Kritik leben müssen, weil es diesen Phantasie-Sultan ja auch nicht gegeben hat und die Serie sonit nicht der Wirklichkeit entspricht.