Langeweile beim DGB

Prof. Arno Klönne

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Medien aufgeregt über Vorgänge im Deutschen Gewerkschaftsbund berichteten, und so fand denn auch das  „Parlament der Arbeit“ nur das Minimum pflichtschuldiger Aufmerksamkeit.  „Michael Sommer wiedergewählt“ – diese Meldung gab nicht viel her, denn  ein Gegenkandidat war gar nicht aufgestellt worden, die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften hatten sich vorweg auf den bisherigen Amtsinhaber geeinigt.
Glücklicherweise beehrte die Bundeskanzlerin den DGB-Kongress mit ihrem Besuch, und so ließ sich in der Berichterstattung wenigstens eine durchgängige Schlagzeile bilden: „Merkel lehnt Mindestlohn ab“. Die Delegierten empörten sich nicht darüber, zumal die Kanzlerin versicherte, sie werde „weiterhin den Gesprächsfaden suchen“, die Gewerkschaften hätten sich ja auch bisher schon „verantwortungsbewusst verhalten“.
Angela Merkel, so die journalistischen Beobachter, „punktete bei den Gewerkschaftern mit Charme“. Dass der alte und neue DGB-Chef mit Leidenschaft gepunktet hätte, war nicht zu vermelden; den Delegierten war schon bekannt, dass, wie er sagte, „in der Bundesrepublik das soziale Gleichgewicht empfindlich gestört ist“ und die Gewerkschaften „Geiz und Gier nicht länger hinnehmen werden“. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt, Klaus Wiesehügel, verriet der Presse: Bei Delegierten sei ein „Uns ist langweilig“ zu hören.
Dieses Gefühl war jedoch nicht ganz berechtigt. Der Kongress beschloss nämlich eine neue Organisationsreform des DGB, die einige Dramatik enthält: Der gewerkschaftliche Dachverband wird weiter an gesellschaftspolitischer Bedeutung verlieren; und mehr noch als bisher zieht er sich aus der Fläche zurück. Die Mittelzuweisungen der Einzelgewerkschaften an den DGB werden gekürzt, kampagnenfähig wird er in Zukunft nicht mehr sein. Die Region als Organisationsebene wird geräumt, hauptamtliche Funktionen im DBG werden in einem weiteren Schritt zentralisiert. Wie üblich ist eine solche „Verschlankung“ von wohlklingenden Trostworten begleitet: Nun sei dem ehrenamtlichen Engagement mehr Raum gegeben…
Mit der Organisationsreform im DGB setzt sich ein Trend fort, der schon seit Jahren deutlich ist: Die durch Fusionen noch größer gewordenen drei großen Einzelgewerkschaften (IG Metall, ver.di und IG Bergbau, Chemie, Energie) drängen den übergreifenden Gewerkschaftsbund an die Seite. Gesamtgesellschaftliche Gewerkschaftspolitik büßt ihren Rang ein, das „Co-Management“ mit den Arbeitgebern und Unternehmern bekommt Priorität. Jeder Wunsch an der gewerkschaftlichen Basis, in Zeiten des massiven Klassenkampfes von oben müsse die Gewerkschaftsbewegung auch in der Bundesrepublik zum politischen Streik fähig werden, gerät damit organisatorisch ins Aus. Im sozialen Alltag vor Ort wird „die“ Gewerkschaft noch weniger als bisher zu identifizieren sein, vorfindbar sind dann bestenfalls gewerkschaftliche Branchenvertretungen; dadurch wird die Entpolitisierung vorangetrieben.
Michael Sommer beteuert und meint es sogar ernst, der DGB könne für die vergangenen vier Jahre unter seinem Vorsitz wiederum eine positive Bilanz vorweisen, den Gewerkschaften sei es „gelungen, das Anti-Krisen-Programm (der deutschen Politik;  A. K.) entscheidend zu prägen“. Eine verblüffende Sichtweise, denn da handelt es sich um begrenzte Notmaßnahmen wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld, die notwendig wurden, weil das „Programm“, nach dem die Finanz- und Wirtschaftskrise abläuft, insgesamt gegen die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung gerichtet ist – ohne dass bisher gewerkschaftliche Gegenmacht bemerkbar geworden wäre. Das Lohndumping geht weiter, das Tarifsystem bröckelt, neben der Massenarbeitslosigkeit dehnt sich prekäre Beschäftigung aus, die Krisenlasten werden den Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen aufgebürdet. Nichts ist da „geprägt“ von gewerkschaftlichen Interessen.
Seine Möglichkeiten, im gesellschaftlichen Diskurs streitbar mitzuhalten, hat der DGB längst verloren. Es ist kaum noch in Erinnerung, dass er einst über eine bundesweit verbreitete Wochenzeitung Welt der Arbeit verfügte, mit Einlagen der Landesbezirke, und über ein angesehenes intellektuelles Organ, die Gewerkschaftlichen Monatshefte. Ganz zu schweigen von den lokalen Gewerkschaftshäusern als Treffpunkten für den Meinungsaustausch politisch Aktiver quer zu den Branchenorganisationen. Das alles ist nur noch Historie.
„Auch im 61. Jahr des Bestehens hat unser Dachverband nichts an Vitalität eingebüßt“, behauptete Michael Sommer jetzt beim DGB-Kongress. Ein lautes Pfeifen im finsteren Walde.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und Redaktion der
Ossietzky.  Erstveröffentlichung in Ossietzky, Heft 11, vom 29. Mai 2010  / www.ossietzky.net

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