Mein Rat an Sie: Hören Sie nicht auf Ratschläge!

Ist man Kfz-Mechaniker, nur weil man ein Auto fährt? Arzt, weil man Kopfschmerzen hat? Architekt, weil man in einem Haus wohnt? Warum ist dann jeder, der ein Kind hat, ein Kind kennt oder mal ein Kind gesehen hat, gleich ein Erziehungsexperte?

Es fing alles ganz harmlos an: Ich wurde schwanger. Und weil ich sehr glücklich darüber war, wollte ich mein Glück mit allen teilen. Also erzählte ich jedem, wirklich jedem, dass ich ein Kind erwarte, egal ob sie es hören wollten oder nicht: Meiner Familie, meinen Freunden, den Arbeitskollegen, der Verkäuferin an der Supermarktkasse, dem Taxifahrer, wildfremden Menschen auf der Straße…

Alle reagierten gleich: Erst gratulierten sie mir, dann aber gaben sie mir einen guten Ratschlag:

”Herzlichen Glückwunsch. Aber Du darfst jetzt nicht mehr trinken und rauchen, dass schadet deinem Baby!“ Ach, wirklich? Und ich wollte gleich damit anfangen, wenn ich endlich schwanger bin.

„Ich freue mich so für euch! Aber Du darfst jetzt keinen Sex mehr haben. Davon verlierst Du das Kind.“ Ich dachte doch tatsächlich bis dahin, dass man davon nur welche bekommt.

„Wie schön für euch! Aber Du darfst deine Arme nicht hochheben. Die Nabelschnur kann dann das Baby strangulieren und es ist tot!“ Ich habe mir neun Monate lang nicht die Haare gekämmt.

Am Anfang fand ich die Ratschläge nicht so schlimm. Ich war glücklich und ich bekam sie nur von Menschen, die wussten, dass ich schwanger bin, aber als ich schwangerer wurde, bekam ich sie auch von Menschen, die es sahen. Wenn Sie Fragen zum Thema Schwangerschaft haben, gehen Sie bloss nicht zum Arzt, was wissen die denn schon, gehen Sie einkaufen. Ich wurde gleich am Eingang in der Obst- und Gemüsabteilung von überengagierten Mitmenschen empfangen, die meine Einkäufe genauer inspizierten als Zollbeamte Flugpassagiere und ihr Gepäck. Tomaten? Darf man nicht, Nachtschattengewächse sind in der Schwangerschaft verboten! Erdbeeren? Ärgern die Babys mit roten Pusteln. Orangen? Bitte, ich will doch nicht, dass mein Kind schon in meinem Bauch einen wunden Po hat. Gurken? Soll das kleine Würmchen schon mit riesigen Nierensteinen zur Welt kommen? Ich ging mit meinem leeren Einkaufswagen weiter. Drei Regale weiter schaute ein Herr im mittleren Alter, missbilligend auf die Packung Kaffee, die ich gerade in den Wagen gepackt hatte und schüttelt wütend mit dem Kopf. Ich blickte ihn schon genervt an. Er fragte mich ebenfalls genervt: „Sie wollen doch keinen Kaffee mit Koffein trinken?“ Langsam wurde ich wirklich bockig: „Doch!“ Er war sprachlos. Als er endlich die Worte wieder fand sagte er: „Machen Sie das. Sie werden ein hyperaktives Kind bekommen, das nichts wird, kein Geld verdienen wird, dem Staat auf der Tasche liegt und keine Rentenbeiträge bezahlt. Und ich werde nicht einmal Geld für eine Tasse Kaffee haben. Lassen Sie sich ihren schmecken.“  Er ging wütend weiter, ich auch, aber er tat mir schon ein wenig leid, dass er wegen meiner Koffeinsucht im Alter verarmen würde. In der Drogerieabteilung klärte mich eine Mutter darüber auf, dass ich keine Zahnpasta mit Fluor kaufen darf und benutzen sowieso nicht, weil mein Baby sonst schlechte Zähne bekommt. Ich hatte die ganze Zeit das Bild von einem Neugeborenen mit braunen, schiefen und krummen Beißerchen vor Augen. Irgendwann kam ich an der Kasse an und packte die paar Einkäufe auf das Band. Eine ältere Dame schaute erst erschrocken auf die Pfefferkörner, dann mir ins Gesicht. Überrascht befahl sie mir: „Sie dürfen in ihrem Zustand keinen Pfeffer essen.“ Ich wollte wissen, warum denn bitte schön nicht? Die Dame wie selbstverständlich: „Davon bekommt ihr Kind hässliche Muttermale im Gesicht.“

Es nahm einfach kein Ende. Ein älterer Mann hielt mich auf der Straße an, um mir zu sagen, dass ich zu große Schritte beim gehen mache. Das hätte auch die Tochter der Nachbarin von der Mutter des Freundes eines Bekanntes gemacht und ihr Baby wäre einfach auf die Straße gefallen. Mütter sahen es als besondere Aufgaben an, mir von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten und mir Ratschläge zu geben, damit ich es einfacher habe als sie. Doch die Horrorgeschichten, die sie mir berichteten, machten mir nur Angst. Ich überlegte sogar kurz, meine Schwangerschaft einfach zu ignorieren und das Kind nicht zu bekommen.

Aber das Kind kam. Ohne Pusteln, wunden Po und hässlichen Muttermalen. Am Tag der Geburt wurde ich in Ruhe gelassen und ich dachte tatsächlich, das mit den Ratschlägen wäre vorbei. Was für ein Irrtum! Es fing gerade an. Was ich in der Schwangerschaft erlebt hatte, war nichts zu dem, was ich nach der Schwangerschaft erlebte. Das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Aber schreiben Sie mir die besten Ratschläge, die Sie bekommen haben. Damit wir Mütter allen Schwangeren und denen, die es werden wollen, diese hilfreichen Ratschläge weitergeben können…

candansix-sasmaz@sabah.de

Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.

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