Kafka in Istanbul – Pinar Selek wird zum dritten Mal freigesprochen
Bezeichnend, dass die Leute überrascht sind, wenn die türkische Justiz einmal gesunden Menschenverstand zeigt. Freispruch also für Pinar Selek. Ein Istanbuler Schwurgericht widersetzte sich damit am Mittwoch dem Obersten Berufungsgericht der Türkei, das die Verurteilung der Soziologin und Autorin zu lebenslanger Haft verlangt hatte. Die Anklage lautete auf siebenfachen Mord, auf ein Bombenattentat im Gewürzbasar von Istanbul, begangen 1998 angeblich im Auftrag der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Das Gericht sagt nun: unschuldig. Tiefes Aufatmen bei Seleks Mitstreitern, bei ihrem Vater, der selbst Anwalt ist. Allein Pinar Selek selbst traute sich im ersten Moment nicht, ihrem Impuls zur Freude nachzugeben. Im TV-Sender Habertürk per Telefon aus dem deutschen Exil zugeschaltet, sagte sie, sie stehe noch ‘unter leichtem Schock’.
Seleks Zögern ist verständlich. Es ist nicht ihr erster Freispruch. Es ist ihr dritter. Zuletzt hatte sogar die Staatsanwaltschaft selbst Widerspruch eingelegt gegen eine neue Anklage – weil es keinerlei Belege für eine Täterschaft Seleks gibt. Mehrere Expertengutachten kamen zu dem Ergebnis, dass die Tat nie stattgefunden habe. Keine Bombe sei explodiert, sondern eine Gasflasche. Der einzige Belastungszeuge hat längst erklärt, die Polizei habe ihm seine Aussage mit Folter abgepresst. Die Spitze der türkischen Justiz focht das nicht an: Im November befahl das Oberste Gericht, das Verfahren zum dritten Mal neu aufzurollen. ‘Eine Pervertierung des Rechts’, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch urteilte: Politisch motivierte Verfolgung durch die Justiz sei ‘noch immer Grund zur Sorge’ in der Türkei.
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