Friedensbewegung muss aktiv werden
Friedensbewegung muss aktiv werden
Yücel Özdemir
Wir haben mit Tobias Pflüger, Friedensforscher, Politikwissenschaftler und Politiker, über den Ukraine-Krieg und die deutsche politische Linke gesprochen.
Wie beurteilen Sie als Rüstungsexperte den andauernden Krieg in der Ukraine?
Was da stattfindet, ist ganz eindeutig ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Es gibt sehr viele zivile Opfer, Städte und Dörfer werden zerstört, allein nach Polen sind 2,5 Mio. Menschen geflohen, in Deutschland sind es bald 800.000. Meine Befürchtung ist, dass es noch zu schwerwiegenden Kriegsfolgen kommen wird. Was nun passieren wird, ist, dass die westlichen Staaten der Ukraine Stück für Stück enorme Mengen an Waffen und militärischer Unterstützung leisten werden. Politisch muss Druck gemacht werden für effektive Verhandlungen und eine Verhandlungslösung. Im Moment habe ich den Eindruck, dass westliche Staaten die ukrainische Führung darin bestärken, dass sie den Krieg gewinnen könnten.
Die NATO spielt seit Jahren eine wichtige Rolle in der Spannungspolitik zu Russland. Glauben Sie, dass sie ihre Ziele hiermit erreicht?
Im Grunde genommen ist ein Effekt dieses Kriegs, dass die NATO geschlossener agiert. Der russische Angriff hat eine Einigung der NATO und einen unglaublichen Aufrüstungsschub, der sich durch alle NATO-Länder, besonders Deutschland, zieht, erreicht. Es gibt eine ganze Reihe Truppenbewegungen der NATO in Osteuropa, erst neulich in der Slowakei und Bulgarien. Es gibt eine enorme Aufrüstung auf der NATO-Seite, die in keinster Weise diesen Krieg beendet, sondern zukünftige Kriege vorbereitet. Was das genaue Ziel der NATO im Moment ist, erschließt sich nicht vollständig. Wenn das Ziel der NATO ist, diesen Krieg lange andauern zu lassen und ihn für ihre weitere Aufrüstung zu nutzen, dann wird es Stück für Stück erreicht.
NATO-ERWEITERUNG GENIESST AKZEPTANZ
Die NATO zeigt Bestrebungen, bisher neutrale Staaten wie Schweden und Finnland in das Bündnis aufzunehmen. Darauf hat Stoltenberg erst vor Kurzem hingewiesen.
Das Problem ist, dass die Stimmung in besagten Ländern, zum Beispiel Schweden und Finnland, durch den Krieg gekippt ist und die NATO nun eine höhere Akzeptanz genießt. Insofern kann die NATO diesen Krieg für ihre Erweiterung und Aufrüstung nutzen.
Deutschland hat seine Position zu Anfang des Kriegs schnell geändert. Vor allem deutsch-russische Beziehungen haben sich geändert. Was ist das Ziel der Bundesregierung jetzt? Welche Rolle will Deutschland in Zukunft in Europa spielen?
Offensichtlich will die Bundesregierung sich umfangreich zur militärischen Zentralmacht in Europa machen. Dieser Aufrüstungskurs bedeutet eine erhebliche Steigerung der militärischen Kapazitäten. Wir müssen uns in der Bundesrepublik nun gegen diesen Aufrüstungskurs, gegen das 100 Mrd. Paket stellen. Die ersten Entscheidungen dazu sind bereits gefallen. Zum einen die Anschaffung von Atomwaffenträgern, der teuersten und gefährlichsten Kampfflieger, die es gibt. Und zum Anderen die Bewaffnung durch Drohnen, die inzwischen beschlossen wurde. Im Grunde genommen ist dieser Krieg so etwas wie ein Brandbeschleuniger für die Aufrüstung.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat unter Linken Kräften zu viel Diskussion geführt. Kann man sagen, dass die Position zu Russland in linken Parteien und Organisationen einen Scheideweg darstellen wird?
Ich befürchte, dass es so kommen könnte. Das Problem ist, dass ein Teil der Partei Die Linke an die friedenspolitische Programmatik ran und sie verändern möchte. Meine Position ist die, dass es richtig ist, das imperiale Agieren der russischen Regierung sehr deutlich zu formulieren. Eine Veränderung der NATO-Kritik oder eine Aufgabe antimilitaristischer Positionen halte ich gleichzeitig für falsch und werde dafür kämpfen, dass wir dort bei den bisherigen Positionen bleiben.
ENTMILITARISIERUNG STATT AUFRÜSTUNG
Das heißt, die Forderung nach einer Auflösung der NATO ist eine richtige Politik, Entmilitarisierung ist eine richtige Forderung?
Genau! Und das muss auch so bleiben und da sollte Die Linke auch bleiben. Wenn sie diese Position aufgibt, dann gibt sie eine ihrer Grundlagen auf.
Ist eine vermeintliche Aussicht auf Regierungsbeteiligung eine Gefahr für Die Linke?
Die Befürchtung ist da. So etwas läuft immer schrittweise. Im Grunde genommen ist es völlig klar, dass wenn in diesem Bereich Positionsveränderungen vorgenommen werden, man mit der Existenz der Partei spielt. Meine Analyse ist, dass es für die Partei gerade zwei zentrale und notwendige Säulen gibt, nämlich, dass man im sozialen Bereich und in Fragen um Krieg und Frieden grundsätzlich eine andere Position hat, als die anderen Parteien. Und wenn man eine Säule verändert, dann kippt das Ganze.
Wie ist der Stand bei anderen linken Parteien und Organisationen, gibt es einen linken Druck auf DIE LINKE, dass sie ihre Position beibehält?
Es gibt kaum andere relevante oder große Akteure, die Druck aufbauen könnten. Es gibt innerhalb der Friedensbewegung eine Reihe von Akteuren, die richtigerweise immer wieder darauf drängen, dass die Position diesbezüglich nicht verändert wird. Das ist gut so und der Druck sollte weiter bestehen bleiben.
EIN BREITES BÜNDNIS GEGEN AUFRÜSTUNG
Sie sind seit Jahren in der Friedensbewegung. Dort gibt es auch viele unterschiedliche Meinungen. Was sind die grundlegenden Kernpunkte?
Im Wesentlichen war die Position innerhalb der Friedensbewegung immer richtig. Sie hat jedoch Probleme in zwei Bereichen. Zum einen um die Frage, welche Bündnisse man eingehen kann. Durch die Initiative von einer Reihe von Akteuren mit den Queerfront-Mahnwachen von 2014 ist die Friedensbewegung erheblich geschwächt worden. Zum anderen gibt es Akteure in der Bewegung, die „den Feind des Feindes zum Freund“ gemacht haben. Das bedeutet, dass die imperialistische Politik Russlands wenig benannt und brutal formuliert, durchaus mal übersehen wurde. Richtigerweise wurde sich mit der imperialistischen Politik der NATO, der USA und Deutschlands beschäftigt. Ich bleibe natürlich dabei, dass der zentrale Punkt der ist, dass man sich mit der eigenen Regierung auseinander setzen muss. An dem Punkt waren die Positionen in der Friedensbewegung immer richtig.
Wie können linke Bewegungen diesen Krieg als Chance nutzen, um ein Europa, ein Deutschland ohne Waffen und ohne Militarisierung, ohne Krieg zu erreichen?
Ich glaube, die zukünftige zentrale politische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik wird um das Aufrüstungsprogramm gehen. Und das ist dann natürlich auch der Punkt, an dem die Friedensbewegung aktiv werden muss, sich gegen diese Aufrüstung stellen muss. Diese Aufrüstung wird in der Bevölkerung nicht so gutgeheißen, wie es uns durch die Berichterstattung suggeriert wird. Ich habe in verschiedenen Gesprächen feststellen können, dass diese Entwicklung, als Olaf Scholz das Sonderprogramm verkündet hat und darauf Jubel im Bundestag folgte, sehr viele abgestoßen hat. Ich glaube, dass man ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen diese Aufrüstung organisieren kann. Es gibt ein weites Feld, was durch die Friedensbewegung und linke Kräfte bearbeitet werden muss.
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