Der Geisteszustand der Gezi Park Besetzer
Dr. Hatem Efe, der politische Leiter der SETA, eine unabhängige Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung, hat die geistige Motivation und den Antrieb der Gezi Park Aktivisten untersucht.
Man kann von vier Gefühlen sprechen, die die Gezi Park Aktivisten in Bewegung gesetzt haben: Elitarismus, Niederlage-Verlust, Hoffnungslosigkeit-Hilflosigkeit und Angst-Paranoia. Die Gesamtheit dieser Gefühle haben bei einigen Aktivsten wenig, bei einigen mehr, aneinander gefügt eine Funktion bekommen, die die emotionale Spannung steigerte.
ISTANBUL – Es ist schon länger her, dass die Gezi Park Aktion ihre Intensität verloren hat. Je mehr Zeit darüber vergeht, wird die Aktion selbst und auch die politische Auswirkung differenzierter, anders. Nach einer Weile verliert die tatsächliche Entstehung der Ereignisse oder wer die Demonstranten sind an Bedeutung; die entstandene Wahrnehmung und die politischen Auswirkungen rücken in den Vordergrund. Daher ist Bedeutsamer, den Beginn der Ereignisse, ihr Wachstum und die Reflexe, die bei ihrer Beendigung von Bedeutung waren, beiseite zu lassen, und über das Sediment, das Erbe, das für heute und morgen hinterlassen wurde, zu diskutieren.
Wenn man von heute aus zurückblickt, kann man sagen, das die Gezi Ereignisse ein Einspruch gegen den Aufbau der neuen Türkei aus der Hand der AKP und/oder Erdoğan sind. Während ein Teil der Demonstranten – unabhängig davon aus welcher Hand der Aufbau stattfindet – an den Protesten teilnahmen, weil sie gegen Abschaffung der alten Türkei und den Aufbau einer neuen Türkei sind; nahm ein Teil an den Protesten teil, weil sie sowohl für die Abschaffung der alten Türkei und den Aufbau einer neuen Türkei sind aber dagegen, dass diese Aufbauphase aus der Hand der AKP und/oder Erdoğan geschieht. Was diese beiden Gruppen, deren politische Visionen gegensätzlich sind, zusammenbrachte, war nicht die Forderung nach Demokratie, sondern die Voraussicht, dass die Zukunft aus der Hand von Erdoğan aufgebaut wird. Die Demonstranten gingen nicht mit einem pro-aktiven, sondern reaktiven Gefühl auf die Straße, nicht um etwas zu fordern, sondern um etwas zu widersprechen. Wie man auch an Slogans wie “Es reicht“ und/oder ”Verdammt sei manches“ verstehen kann, waren die Gezi Aktivisten nicht eine Gruppe mit Anspruch, Ziel, These, sondern eine Gruppe mit Widerspruch, Unzufriedenheit, Wut. Aus diesem Grund ist es richtig, sich nicht darauf zu versteifen was die Demonstranten fordern, sondern zu verstehen und zu klären, warum sie gegen etwas sind, mit welchen Gefühlen sie auf die Straßen gegangen sind.
Elitarismus als Referenz
Man kann von vier Gefühlen sprechen, die die Gezi Park Aktivisten in Bewegung gesetzt haben: Elitärität, Niederlage-Verlust, Hoffnungslosigkeit-Hilflosigkeit und Angst-Paranoia. Die Gesamtheit dieser Gefühle haben bei einigen Aktivsten wenig, bei einigen mehr, aneinander gefügt eine Funktion bekommen, die die emotionale Spannung steigerte.
Man kann sagen, dass im Gezi Park vom ersten bis zum letzten Tag, das stärkste Gefühl, das alle Gesellschaftsschichten und -akteure gemeinsam hatten die Elitärität war. Elitarismus ist das Hauptgefühl, das die drei ihm folgenden Gefühle zum Vorschein bringt. Im Gezi ist es möglich auf alle Arten der politischen, kulturellen, ideologischen, wirtschaftlichen und natürlich gesellschaftlichen Elitärität zu treffen. Für Manche ist die Elitarismus im Gezi eine Klageform für die verlorenen politisch-wirtschaftlich-kulturellen Konzessionen während der AKP Regierung. Für manche Gruppen hat sich der Erfolg, der Gewinn der seit Jahrhunderten Ausgeschlossenen, als die Anderen titulierte, religiös-konservative Basis als eine Form der Nichtakzeptanz manifestiert. In diesem Rahmen betrachtet kann man sehen, dass Elitärität als die Hauptader für das Zusammenkommen der militaristischen wie auch nationalistischen Gruppen, die für die Weiterführung des Systems kämpfen als auch die liberalen Linken Gruppen, die dagegen sind, funktioniert. Wir wissen, dass das elitäre Gefühl der nationalistischen Gruppe wegen den Ergebnissen, die die AKP in den letzten zehn Jahren zugunsten der Partei erreichte, hat zu einem Zerwürfnis mit der Demokratie und Politik sowie zur Einschlagung von außerdemokratischen Wegen geführt.
Doch die ambivalente Situation, die die linksliberalen Gruppen, die bei der Suche nach der Demokratisierung des politischen Systems alle anderen Gruppen hinter sich gelassen haben, erleben müssen, weil die Bewegungen in Richtung Demokratisierung durch die AKP gemacht werden, wartet darauf analysiert zu werden. Dass seit Jahren die Gruppe, die als zurückgeblieben, ungebildet, rückständig tituliert wird die hundert Jahre alte Demokratieagenda in das Zentrum ihrer Aktivitäten genommen und die Säulen der Bevormundungen nach und nach zusammenbrechen, hat bei den linksliberalen eine starke Anspannung verursacht. Diese Anspannung hat beim Referendum vom 12. September 2010 mit der Linie ”Ungenügend aber Ja“ in raffiniertester Form Leben gefunden. Auch wenn die ”Ungenügend“ Betonung als ein Zeichen des Demokratiemangels in der Regulierung angepriesen wurde, war sie eine Beklagung der Rückführung von Vormundschaft durch die AKP sowie Ausdruck der Sorge, dass diese Regelung die politische Macht der AKP steigern wird. Am wichtigsten ist der Weg, den Nachbarschaftsdruck, der durch die Bündnisbildung mit der verachteten AKP ausgelöst wurde, außer Gefecht zu setzen. Wie Etyen Mahçupan hinwies, Markar Esayan in Verbindung mit den Gezi Aktionen wieder erinnerte, war die “Ungenügend“ Betonung kein Einspruch zum Paketinhalt sondern die Erfassung, dass man aufgrund der demokratischen Attribute des Paketes widerwillig in die Situation geriet, die AKP unterstützen zu müssen. Dieses Thema kann man detaillierter ausführen, aber für unsere Absicht hier ist es denke ich soweit ausreichend. Als Ergebnis haben unter beiden Formen der Elitarismus ein wichtiger Teil der Aktivisten gegen die Möglichkeit der Gleichstellung einer seit Jahren verachtete fromm-konservativ-religiösen unter der AKP Regierung mit einem Gefühl aus einer Mischung von Rebellion und Klage ihre Gegenwehr gezeigt.
Von Niederlage zum Nihilismus…
Man kann sagen, dass das zweite Gefühl, das den Gezi Park umzingelte, Niederlage-Verlust ist. Das Elitäritätsgefühl der Aktivisten hat die Heftigkeit der Niederlageempfindung verstärkt. Das Gefühl der Niederlage hat seinen Ursprung darin, dass eine privilegierte Minderheit als eine säkulare Gruppe seit Gründung der Republik das Land regiert und in den letzten zehn Jahren durch die Schwächung des Vormundschaftssystems und durch die Funktion der demokratischen Regeln ihre Privilegien verloren haben. Dass endlich eine Gruppe, die seit einem Jahrhundert in der Mehrheit ist und der trotzdem keine öffentliche Existenz zugestanden wurde, endlich wegen der Funktion ihrer demokratischen Konventionen angefangen haben Macher zu sein, nährt das Niederlagengefühl der säkularen Gruppe.
Das dritte Gefühl, das Gezi umzingelt ist die Hoffnungslosigkeit, die Hilflosigkeit. Es ist möglich, dieses Gefühl als eine nächst höhere Phase des Niederlagengefühls zu platzieren. Die Hilflosigkeit wird durch die Beobachtung, dass die Niederlage dauerhaft ist, genährt. Einige Katalysatoren haben verursacht, dass die Situation der Niederlage nicht vorübergehend sondern bleibend ist und so die Gefühle der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit genährt werden. Zuerst muss man darauf hinweisen, dass die Verhinderung der Widerspiegelung des Erfolges an den Wahlurnen mit der Machtgleichstellung durch bevormundende Akteure und Institutionen ihre Funktion verloren haben. Als zweites ist es möglich darauf hinzuweisen, dass nach Akteure bei der Gleichstellung die letzte Hoffnung CHP es trotz aller Bemühungen nicht schaffte eine wirkungsvolle Oppositionspartei zu werden. Dass die AKP jede Wahl, an der sie teilnahm gewonnen hat, die gesellschaftliche Unterstützung bewahrt und somit die Kraft ihrer Macht gestärkt hat und am wichtigsten, die Prognosen, dass sie die nächsten paar Wahlen auch gewinnen wird, kann als drittes dieses Gefühl genährt haben. Kurz gesagt, dass die Wirkung der AKP über das politische System, die Wahrung der gesellschaftlichen Unterstützungen und am wichtigsten, dass es keine politische Opposition gibt, die die Diskurse und Politik der AKP im Gleichgewicht hält, hat das Niederlagen-Gefühl der säkularen Gruppe, die keinen Zweifel an ihrer Überlegenheit haben, durch Verdichtung in die Hoffnungslosigkeit getrieben.
Es ist möglich zu sagen, dass das vierte Gefühl, das Gezi Park umzingelt hat Angst-Paranoia ist. Die Gefühle Elitärität, Niederlage und Hoffnungslosigkeit führen im nächsten Schritt zu Angst und Paranoia, bereitet den Weg für ein “wir verlieren alles, werden alles verlieren“ Gefühl. Die Reaktionen auf die Alkoholregelung, die in vielen fortschrittlichen westlichen Demokratien bereits besteht, wird durch diese paranoiabereite Psyche ausgelöst. Die als sicher empfundene Wahrnehmung, das die AKP einem eine konservativ-religiöse Lebensweise aufdrängen wird, löst aus, dass aus dieser Sorge eine Paranoia wird.
Demokratie assimilieren…
All diese Gefühle bringen zum Vorschein, dass die Proteste im Grunde aus der Sorge einen Lebensstil verteidigen zu müssen zustande gekommen sind. Anders gesagt, viele Gruppen, deren politische Visionen sich voneinander unterscheiden, wegen sich ähnelnden Gefühlen, um ihr Lebensstil, dass sie bedroht glauben, vor Erdoğan und der AKP verteidigen zu müssen an den Protesten teilgenommen haben. Die Achse, die die Proteste gelenkt hat, war weder die Demokratieforderung, noch die Ablehnung der autoritären Neigungen. Die Entleerung der negativen Energie, die eine Gruppe mit elitären Wahrnehmungen, durch die Entwicklungen in den letzten zehn Jahren aus Niederlage, Hilflosigkeit und Paranoia zusammengetragen hat. Die negative Energie hat sie im Lebensstil verknotet und sich in eine Aktion umgewandelt. Auf dem Grad, auf dem sich das hundert Jahre alte Privileg im Lebensstil kristallisiert hat, wurde aber Verlust von Macht und Privileg über diesem Lebensstil verteidigt.
Dass sie mehr über die Verteidigung des Lebensstil anstatt der Forderung nach Demokratie genährt wurde und mehr eine Verteidigung der wahrscheinlich umzusetzenden politischen Maßnahmen als ein Widerspruch gegen die bestehende Politik war, mindert nicht den politischen Wert der Aktionen. Die politische Macht muss, egal aus welchem Grund und welcher Dynamik, die Menschen ernst nehmen, die auf die Straßen gehen. Die Aktivisten haben Erdoğan und der AKP ein Signal gegeben. Sie haben daran erinnert, dass der Lebensstil, die wichtigste Säule ist, die man verteidigen muss. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dieses Signal gehört wird.
Doch die politische Bedeutung der Aktionen und die Notwendigkeit, dass die Politik sich den Aktionen stellen muss, verhindert nicht, dass wir die Anormalität der Situation, und die Krankhaftigkeit der hervorgetretenen Gefühle diskutieren. Die Gefühle, die mit Elitärität begannen mit Paranoia und wahrscheinlich im nächsten Schritt mit Nihilismus enden, ein gesundes gesellschaftliches Leben und das miteinander leben erschweren, sogar vielleicht unmöglich machen, müssen wir sehen. Dies ist ein problematischer Geisteszustand. Um diesen Geisteszustand zu heilen, sollte man ihn nicht als gegeben akzeptieren oder recht geben, sondern mit dem realen Leben konfrontieren.
Wir können hier anfangen: Es wird ein neues politisches System aufgebaut, das keine Privilegien hat, das das Machtgleichgewicht für jeden gültig transparent formt, in der die Wahlurnen sich auf die Machtausübung auswirken. Wir sollten die regierende AKP daran erinnern, die gesellschaftlichen Unterschiede anzuerkennen, die unterschiedlichen Lebensweisen zu respektieren. Auf der anderen Seite sollten wir die Gezi Teilnehmer daran erinnern, dass in der Türkei, die sich bemüht eine Demokratie zu werden, die elitäre Geisteshaltung zu nichts anderem gut ist als die Anpassung an die echte Welt zu erschweren und ihnen empfehlen sich mit dem Wandel der Zeit und des Lebens auseinanderzusetzen.
Dr. Haten Efe
Übersetzung : Candan Six-sasmaz
Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.