Wir wissen, was Sie vorhaben, aber wir werden uns nicht beugen
Wir wissen, was Sie vorhaben, aber wir werden uns nicht beugen
CEREN SÖZERİ
Die oppositionelle Presse in der Türkei hat es schon seit Jahren schwer. Nun reihen sich aktuelle Angriffe auf die Tageszeitung Evrensel ein, um eine der verbliebenen freien und kritischen Zeitungen in den finanziellen Ruin zu treiben. Die Presse-Anzeigenagentur BİK versucht über eine Hintertür, die Evrensel ausbluten zu lassen. Mit der Begründung, dass sie die Mindestanforderung an die tatsächliche Auflagehöhe nicht erfülle, nahm die BIK der Zeitung Evrensel das Recht, öffentliche Anzeigen zu erhalten, mit der Begründung, dass der Kauf von mehr als einer Zeitung durch ihre Leser ein „Verstoß gegen die Vorschriften“ sei.. Abgesehen von der Begründung, dass sie die Mindestanforderung an den tatsächlichen Absatz nicht erfüllte, nahm sie der Zeitung Evrensel das Recht, Anzeigen zu erhalten, mit der Begründung, dass der Kauf von mehr als einer Zeitung durch ihre Leser „Korruption“ sei.
Fast alle Entscheidungen der BİK in den letzten Jahren waren umstritten, aber die fragliche Entscheidung ist auf ihrer Website nicht zugänglich und wurde nur der Zeitung Evrensel von der Generaldirektion der BIK mitgeteilt.
Was ist die BİK?
Die BİK wurde 1961 gegründet, um die an Presse und Rundfunk zu gebenden staatlichen und sogar privaten Anzeigen in einer Hand zu sammeln und gerecht zu verteilen.
Obwohl die Zusammensetzung und die Entscheidungsprozesse des Gremiums umstritten sind, wurde die Struktur der Generalversammlung (bestehend aus 12 Regierungsvertretern, 12 Pressevertretern und 12 unabhängigen Vertretern) von den Berufsverbänden der Presse als fair empfunden. Das bekannteste Beispiel aus der Zeit vor der AKP war das zweimonatige Anzeigenverbot für die Zeitung Radikal im Jahr 2001. Die Geldstrafe wurde auf Antrag des damaligen Justizministers Hikmet Sami Türk wegen des Artikels von Perihan Mağden über das Todesfasten in den Gefängnissen verhängt. Im gleichen Zeitraum wurden auch die Zeitungen Sabah und Takvim auf Antrag von Ali Suat Ertosun, dem Generaldirektor der Gefängnisse und Haftanstalten, der für das Justizministerium Mitglied der BİK war, mit einem Anzeigenverbot belegt. Im Vergleich zu heute erscheint das naiv, aber damals wurde der sozialdemokratische Ministerpräsident Bülent Ecevit von den heutigen Regierenden selbst für die Zensur der Presse kritisiert.
Wer überwacht die Auflagenzahlen?
In der Türkei waren die Auflagenzahlen von Zeitungen aufgrund des monopolisierten Vertriebs schon immer ein Streitpunkt. Bis 2018 wurde der Markt von Yaysat der Doğan-Gruppe und Turkuvaz Dağıtım der Turkuvaz-Gruppe gemeinsam genutzt. Die Doğan-Gruppe wurde 2018 an Demirören verkauft. Eines der ersten Dinge, die dieses regierungsnahe Konglomerat tat, war die Schließung von Yaysat und die Überlassung des Marktes an Turkuvaz Dağıtım. Ohne Zeit zu verlieren, erhöhte Tekel das Monopol die Provisionen. Wenn die Zeitungen Evrensel oder Birgün nicht in vielen Kiosks zu finden sind, liegt das an dieser Monopolisierung.
Woher bekommt die BIK dann die Info über die tatsächlichen Verkäufe? Sie wird ja nicht zu jedem Händler einzeln gegangen sein und sie gefragt haben, sondern von bezieht die Verkaufszahlen von Turkuvaz Dağıtım. Angenommen, Evrensel erreicht tatsächlich nicht die ihr vorgeworfene Mindestauflage von 4.000 Mindestverkäufe Stück. Woher wissen wir dann, dass andere, wie Türkgün, Milat oder viele andere regierungsnahe Zeitungen dies tun? Sagt BİK, wie die bekannten Ladenbesitzer, „Ich bin der Garant dafür“? Wie kann die BIK das überprüfen? Wo bleibt die Transparenz, wo die Verantwortlichkeit?
In der Meldung Mitteilung an die Evrensel wurden „die von 13 verschiedenen Provinz- und Bezirksorganisationen der Arbeiterpartei (EMEP) abonnierten Zeitungen und der Kauf mehrerer Zeitungen durch Leser bei verschiedenen Händlern in Istanbul, Ankara, Izmir und Kocaeli“ als Gründe für das Anzeigenverbot genannt. Es ist kein Geheimnis, dass die Evrensel eine Zeitung ist, die sich auf die Gewerkschaftsagenda konzentriert die Agenda der Arbeiter auf die Fahne geschrieben hat. Wie kann es als Verbrechen angesehen werden, wenn ArbeitnehmerArbeiter- und Parteiorganisationen der EMEP eine Zeitung abonnieren oder wenn Leser aus Solidarität mehr als eine Zeitung kaufen, um diese weiterzugeben oder weiterzuverkaufen? In dem einschlägigen Artikel der Verordnung heißt es: „Es ist wichtig, dass die Verkäufe an die Endverkäufer tatsächlich einzeln getätigt werden, mit Ausnahme von Mehrfachverkäufen aus vernünftigen und akzeptablen Gründen“. Was ist hier der Maßstab für „angemessene und akzeptable“ Gründe? Warum fällt der Großeinkauf eines Dienstleistungsunternehmens einer Wohnanlage, die regierungsnahe Zeitungen an jede Haustüre liefert, nicht in diesen Bereich?Warum fällt ein öffentliches Wohnungsunternehmen, das Großeinkäufe tätigt, um eine regierungsnahe Zeitung an jede Tür zu liefern, nicht in diesen Bereich?
Gehen wir noch einen Schritt weiter und nehmen wir an, dass es für die Organisationender Labour Party ein Verbrechen ist, die Zeitung zu abonnieren. Warum gilt das nicht für AKP-MHP-Organisationen, die ihre Zeitungen auch von Hand zu Hand verkaufen?
Sollte EVRENSEL nicht sowieso auf die öffentlichen Anzeigen der BIK verzichten, um unabhängig zu sein?
Es ist eine unschuldige Frage, aber es lohnt sich, dem auf den Grund zu gehen: Die BİK verteilt die Anzeigen nicht aus eigener Tasche, sondern es handelt sich um eine staatliche Ressource, d. h. um Geld, das aus unseren Taschen stammt. Wenn Evrensel keine öffentlichen Anzeigen erhalten darf, dürfen die herrschenden Medien, deren Eigentümer die Regierung mit Ausschreibungen füttern, überhaupt keine Anzeigen erhalten. Die Pflicht von BİK, staatliche Werbung fair gerecht zu verteilen, ist auch Teil seiner Verantwortung, Pluralität und Vielfalt in den Medien zu schützen. In der Begründung des Urteils, in dem das Verfassungsgericht eine Verletzung von Rechten feststellt, heißt es: „Wenn man sich die von der BİK verhängten Strafen ansieht, stellt man fest, dass die der Institution verliehene Autorität über den Zweck der Regulierung der ethischen Werte der Presse hinausgegangen ist und sich in ein Mittel zur Bestrafung verwandelt hat, das für einige Mitglieder der Presse eine abschreckende Wirkung haben kann, und diese Situation hat ein systematisches Problem verursachtdarstellt.“ Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, die das Gericht Urteil als willkürlich bezeichnete, ist BİK durch die Hintertür zurückgekehrt und hat der Evrensel unrechtmäßig das Recht auf Werbung aus der Auflage entzogen.
Einer der Gründe, warum ich für diese Zeitung schreibe, ist den Weg für junge Journalisten zu ebnen, die in die Fußstapfen von dem ermordeten Evrensel-Journalisten Metin Göktepe treten möchten. Darüber hinaus möchte ich meinem Journalistenfreund Nedim Türfent eine Stimme geben, der seit dem 13. Mai 2016 wegen eines von ihm verfassten Artikels im Gefängnis sitzt; ich möchte mich mit 16 Journalistenkollegen solidarisieren, die in Diyarbakır festgenommen wurden und seit 2,5 Monaten inhaftiert sind, mit Rechtsverteidigern, die im Rahmen des Gezi-Prozesses zu Unrecht verhaftet wurden und mit allen anderen politischen Gefangenen… Wir wissen, dass die Evrensel daran gehindert werden soll, Gefängnisse zu betreten, weil die BİK ihr das Recht auf Werbung entzogen hat. Außerdem wird die Zeitung kriminalisiert, wie wir bereits von Regierungsvertretern gehört haben. Evrensel, Birgün, Yeni Yaşam, Cumhuriyet und, Sözcü, kurz gesagt, alle Zeitungen, die der Regierung nicht gefallen, sind die Adressaten dieser auf Evrensel abzielenden Mitteilung.
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