Sin Tierra* und der Putsch
Gülistan Kaymak
Mit einem manipulierten Amtsenthebungsverfahren wurde der demokratisch gewählte linksgerichtete Präsident Fernando Lugo am 23. Juni aus dem Amt gejagt, in das er im Jahre 2008 mit grosser Mehrheit gewählt worden war. Einen Tag zuvor hatte die Abgeordnetenkammer des südamerikanischen Landes eine Amtsenthebungsklage gegen den Präsidenten beim zuständigen Senat eingereicht. Begründet wurde die Klage mit einer mangelhaften Ausübung seins Amtes in Zusammenhang mit den jüngsten Bauernprotesten, bei denen nach Medienberichten 17 Menschen ums Leben kamen. Als Nachfolger wurde bereits der bisherige Vizepräsident Federico Franco von der „Liberal-radikal authentischen Partei“ (PLRA) vereidigt. Franco soll das Präsidentenamt bis zu den Wahlen im April 2013 ausüben. Südamerikas Staatengemeinschaft Unasur kritisierte das Vorgehen. Das Wirtschaftsbündnis Mercosur kündigten Maßnahmen gegen die neue Regierung an. In vielen südamerikanischen Ländern wurde die Regierung nicht anerkannt. In 30 Orten und neun der 17 Provinzen demonstrierten Menschen gegen die neue Regierung und für den abgesetzten Staatschef Fernando Lugo. Im Süden des Landes blockierten Kleinbauern zeitweilig Landstrassen.
Die Bevölkerung in Paraguay ist extrem arm. Zwei Prozent der 16 Millionen Einwohner in Paraguay verfügen über 80 Prozent des fruchtbaren Landes. Seit Jahrzehnten gibt es blutige Auseinandersetzungen, wenn arme Bauern von ihrem Boden vertrieben werden.
Blickt man auf Paraguays Zukunft, zeichnet sich ein Szenario ab, in dem die multinationalen Unternehmen die Ländereien, das genveränderte Saatgut und die Restbestände an Wald kontrollieren. Amerikanische Soldaten werden in Zukunft diejenigen sein, welche die militärischen Einheiten ausbilden und in ihrer Freizeit über Bildungs- und Gesundheitsangebote Kontrolle über die ländlichen Gemeinschaften ausüben.
Diese Ausbreitung der Monokulturen hat eine Vertreibung der Landarbeiter und indigenen Völker hervorgerufen; diese Vertreibungen nehmen inmitten einer Kriminalisierungswelle gegen solche Bewegungen noch stark zu; während weite Teile der Bevölkerung sehr arm sind, gibt es sehr wohlhabende Manager und Militärs. Paraguay ist vielleicht auch deshalb das Schmugglerparadies Südamerikas, von Autos bis Kokain, das hauptsächlich über Dschungelflugplätze an der Grenze nach Brasilien transportiert wird. Dies ist ein Grund, warum landlose Bauern zu den Waffen greifen. Zuletzt starben elf Bauern und acht Polizisten bei einem Feuergefecht um die Besetzung eines Landguts. Bei den landlosen Bauern soll es sich um Angehörige der sogenannten Liga Nacional de Corperos handeln, die als radikale Organisation der paraguayischen Landlosenbewegung gilt. Die paraguayische Landlosenbewegung wehrt sich auch gegen den Putsch, der für die Konzerninteressen ausgeübt wurde.
Zu den wichtigen Akteuren des Umsturzes in Paraguay gehören die internationalen Agrarunternehmen. Weitere Akteure des „kalten Putsches“ zählen neben der Landoligarchie, dem Agrobusiness und der rechten Opposition auch US-amerikanische Saatgutunternehmen wie Monsanto und Cargill.
Die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Paraguays als institutioneller Staatsstreich wird als „Staatsstreich neuen Typs“ gewertet. Man spricht hierbei von imperialistischen Strategien, die jeden Ansatz antikapitalistischer Entwicklung mit Gewalt beseitigen wollen. Es ist eine neue Art Politik der USA und der Europäischen Union, mittels institutioneller Verfahren, die als Folge von gezielter politischer Destabilisierung durchgesetzt werden, progressive, linke Regierungen abzusetzen und dafür eine weitgehende Akzeptanz zu organisieren.
Auch die Kleinbauern wehren sich gegen das internationale Agrarbusiness. Saatgutkonzerne und Getreidegroßhändler treiben den weltweiten Anbau von Soja voran. Die Nachfrage nach Tierfutter und Biosprit, gerade auch in Europa, treibt den Preis der vielseitig nutzbaren Bohne nach oben. Doch die Monokultur industriellen Sojaanbaus zerstört nicht nur die Umwelt, sie bedroht auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft und vergiftet die Landbevölkerung – in Paraguay und anderswo.
Strategische Ziele dieser Mächte sind zum einen die Wiedererrichtung einer ausschliesslich von der Rechten gestellten Demokratur, mit Unterstützung der USA und einiger europäischer Staaten, wie zu Zeiten des Kalten Krieges; Einkesselung und Kriminalisierung der Linken und der Sozialbewegungen; Weiterführung der ausschließlich primären Agrarproduktion für den Export mit unbeschränkter Verzögerung der Industrialisierung; gewalttätige Konsolidierung der „Entbäuerung“ des Landes.
* In Paraguay wird eine Familie mit weniger als 5 Hektar Land als „sin tierra“, landlos, betrachtet, da man mit einer solch geringen Fläche keine Eigenversorgung erreichen kann.
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