Hitlers „Mein Kampf“ demnächst als Schullektüre?
Der Freistaat Bayern plant für 2015 einen kommentierten Nachdruck von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und eine Schulausgabe fürs Klassenzimmer im Taschenbuchformat.
Bayern verliert Anfang des Jahres 2016 das Urheberrecht an Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Theoretisch könnte ab diesem Zeitpunkt jeder Verlag Hitlers Werk nachdrucken. Daher findet die bayerische Regierung es besser, wenn es eine wissenschaftliche seriöse Fassung gibt, welches die rassistische Propaganda in einen richtigen geschichtlichen Zusammenhang stellt. Aus diesem Grund wird zurzeit an mehreren Versionen eines wissenschaftlich kommentierten Nachdrucks gebastelt. Zudem soll die kommentierte Fassung nach dem verantwortlichen Finanzminister Markus Söder (CSU) Hitlers Ideologien als „großen Unsinn“ enthüllen.
Was hat es mit dem Urheberrecht an „Mein Kampf“ auf sich?
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Freistaat Bayern Hitlers gesamtes Vermögen eingezogen, da der oberste Faschist bis zu seinem Tod in München gemeldet war. Somit bekam der bayerische Staat mit Hitlers Vermögen auch die Urheberrechte an „Mein Kampf“.
Warum eine Schülerausgabe?
Die Schülerausgabe soll ein Taschenbuchformat haben, klein, fein und handlich. Vermutlich sollen nur Ausschnitte aus „Mein Kampf“ enthalten sein, da das Original knapp 800 Seiten umfasst. Die Auszüge sollen für junge Schülerinnen und Schüler gut und verständlich von Wissenschaftlern eingeordnet werden. Weitere Details sind aber bisher zur Schülerausgabe noch nicht bekannt.
Wir haben verschiedene Jugendverbände nach ihrer Meinung zu dem Thema gefragt.
Björn Schmidt, Bundesvorsitzender der SDAJ:
„Aufklärung anhand der Wirklichkeit und nicht anhand Hitlers Aussagen“
Geht es nach dem Willen des bayerischen Finanzministers Markus Söder, wird Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ demnächst als Schulbuch erscheinen. Wissenschaftliche Kommentare sollen es den Schülern ermöglichen, das Buch historisch einordnen zu können. Dies sei ein Schritt zur Entmystifizierung der Nazis.
Tatsächlich würde damit aber zunächst einmal die Verbreitung des Buches staatlich gefördert.
Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des deutschen Faschismus darf sich nicht allein auf die Propagandaaussagen der NSDAP stützen. Diesen lassen sich zwar die schon früh geäußerten Absichten der Nazis, wie etwa die physische Vernichtung der europäischen Juden entnehmen. Die Ursache des Faschismus und sein Weg an die Macht wird damit jedoch nicht erklärt. Aufklärung über den deutschen Faschismus muss anhand der Wirklichkeit passieren, nicht anhand der Aussagen Adolf Hitlers. Dazu gehört die Aufklärung über die Rolle deutscher Banken und Konzerne bei der Machtübertragung an Hitler. Und dazu gehört die Aufklärung über den opferreichen Widerstand gegen den Nazi-Staat. Statt „Mein Kampf“ brauchen wir ein Schulbuch über den Widerstand von Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Kommunisten gegen Hitler. Wir brauchen ein Schulbuch über Antifaschisten wie Peter Gingold und Wehrmachts-Deserteure wie Ludwig Baumann!
Bundesvorstand SJD – Die Falken:
„Humanistischer, demokratischer Gegenentwurf zu Hitlers Vorstellungen notwendig“
Freilich bedeutet das Enden des Urheberrechts nicht, dass zukünftig mit einer Flut an Neuausgaben zu rechnen wäre. Künftige Herausgeber hätten stets mit gegen sie gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Volksverhetzung zu rechnen. Jedoch könnte sich die bayrische Regierung gegen die Veröffentlichung kommentierter Fassungen nicht mehr unter Berufung auf das Urheberrecht erwehren. Der Hintergrund der bayrischen Bestrebungen scheint daher von dem Gedanken getragen zu sein, mit einer eigenen Veröffentlichung anderen Verlagen zuvorzukommen, die mit ähnlichen Projekten Profit machen könnten.
Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen, wenn kommentierte Fassungen von „Mein Kampf“ erhältlich wären. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie wird nicht dadurch vereinfacht, dass ein ihr wesentlich zugrunde liegendes Werk seitens einer Landesregierung seit Jahrzehnten „unter Verschluss gehalten“ wird. Tatsächlich ist eine Entlarvung vieler Thesen und Ideen Hitlers und der Nazis gerade durch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit „Mein Kampf“ möglich. Aufklärung und politisches Bewusstsein werden zudem auch durch die Auseinandersetzung mit anderen, auch abwegigen, Meinung herausgebildet und gestärkt. Die Verhinderung der Veröffentlichung (etwa zuletzt durch eine erwirkte Entscheidung des Landgerichtes München im Januar 2012) führt eher zu einer Tabuisierung und leistet Verschwörungstheorien Vorschub, die eine staatlich verordnete Veröffentlichungsverhinderung als Beweis für angebliche die Richtigkeit Hitlers Thesen sehen und in dem Verbot das Eingeständnis des Staates erblicken, sich nicht inhaltlich mit „Mein Kampf“ auseinandersetzen zu können.
Es stellt sich jedoch die Frage, warum eine kommentierte Fassung gerade unter Regie der bayrischen Staatsregierung eine besonders gute Idee sein soll. Bisher ist die bayrische Regierung jedenfalls nicht durch eine besondere Affinität zu einer aufklärerischen politischen Bildung oder antifaschistischer Arbeit aufgefallen. Für eine gute Kommentierung wäre jedoch ein stimmiger humanistischer, demokratischer und emanzipatorischer Gegenentwurf zu Hitlers Vorstellungen zu Menschen und Gesellschaft notwendig. Gesellschaftliche Entwürfe können aber nicht „politisch neutral“ sein. Sie für die Schule oder gesellschaftliche Auseinandersetzung zu liefern, ist definitiv nicht die Aufgabe der Staatsregierung. Deren Verständnis von Demokratie und Antifaschismus dürfte die Auseinandersetzung mit der Ideologie der Nazis kaum voranbringen.
Bundesvorstand DIDF-Jugend:
„Analyse über das Wesen des Faschismus würde mehr helfen“
Das Werben für Hitlers „Mein Kampf“ ist zwar bis heute verboten, doch jeder, der Hitlers ideologisches Rüstzeug und seine hasserfüllten und tödlichen Gedanken lesen will, braucht keine zwei Minuten und hat die komplette Version im Internet gefunden. Daher ist die Idee einer wissenschaftlich aufgearbeiteten und kommentierten Version des Buches an sich nicht schlecht. Es ist nur zu bezweifeln, ob gerade Bayern mit einer CSU-Regierung eine „ideologiefreie“ Version hervorbringen kann. Was sollte uns glauben machen, dass vor allem die Schullektüre zu „Mein Kampf“ des Freistaats eine wirkliche Aufklärung der Geschichte mit sich bringt und den Zusammenhang zur heutigen Ausgrenzung von Migranten darstellt? Was hat die CSU-Regierung bis heute vorzuweisen in der „Antirassismusarbeit“ und der Bekämpfung von Faschisten und ihrer Propaganda? Man beachte vor allem die Nachkriegszeit und in welchen Parteien viele Nazis zu „Demokraten“ wurden.
Sarrazins Buch und die anschließenden Diskussionen zeigen uns, wozu schwachsinnige Theorien in der Lage sind, nämlich dass unter dem Deckmantel der Demokratie und Meinungsfreiheit jeder zu Wort kommen kann und sogar Faschisten und Antisemiten die Gelegenheit bekommen, ihre Hassgedanken öffentlich kundzutun. Wird die Herausgabe von „Mein Kampf“ diese Ideen beseitigen? Wahrscheinlich nicht, vor allem erst dann, wenn unklar ist, welche Kommentare sie beinhalten soll.
Die Befürchtung, Verlage würden ab 2016 unkommentierte Ausgaben veröffentlichen, um Profit zu schlagen, da durch die Medienaufmerksamkeit das Interesse an dem Buch „Mein Kampf“ steigen könnte, scheint etwas verwirrend. Da gerade durch den Schritt des Freistaats Bayern ein Medienhype um ein, eigentlich für Schülerinnen und Schüler uninteressantes Buch gemacht wird, wodurch erst ein Mysterium geschaffen wird. Denn auch ab 2016 darf das Buch nicht in volksverhetzender Weise vertrieben werden, nur jetzt haben Verlage die Möglichkeit es als vieldiskutiertes Buch zu vertreiben.
Eine wissenschaftliche Analyse über das Wesen des Faschismus im Zusammenhang mit dem Kapitalismus wäre eher nötig in Schulen. Denn gerade diese Fragen stellen einen unverfälschten geschichtlichen Zusammenhang dar und bergen die Brücke, um heute einiges anders zu machen. Solch eine Auseinandersetzung ist vom Freistaat Bayern in der Schulbuchlektüre zu „Mein Kampf“ nicht zu erwarten, daher stehen wir dem ganzen eher skeptisch gegenüber.
Gitta Wester, Bundesvorstand Rebell
„Aufklärungsarbeit statt Nazipropaganda“
Für uns steht fest, dass derart faschistische Propaganda wie Hitlers Pamphlet „Mein Kampf“ nichts an Schulen zu suchen hat. Wir stehen für das Verbot aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda. Vielmehr stehen wir für eine umfassende antifaschistische Aufklärungsarbeit unter Schülern und den Jugendlichen generell, um über die Hintergründe, Ursachen, Auswirkungen, Ideologie usw. der Faschisten aufzuklären. Heute ist es für viele Jugendliche häufig nicht leicht, die Demagogie der Altnazis und Neonazis zu durchschauen, weshalb eine umfassendere Aufklärungsarbeit von großer Bedeutung ist, anstatt Nazipropaganda noch größeren Raum zu geben.
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