Das Ende der schwarz-grünen Koalition in Hamburg
MICHAEL SOMMER
Der Hamburger Senat habe beschlossen, „die weiteren Planungsschritte zur Realisierung der Niederflurbahn zu stoppen“, CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus tilge die „Spuren des Grünen-Regierungshandelns“. So beschrieb „Neues Deutschland“ am 1. Dezember 2010 die Lage nach dem Beschluss der Grün-Alternativen-Liste (GAL), die Koalition mit der CDU zu beenden. Damit ist das letzte große Projekt der Grünen, die Niederflur-Straßenbahn, Geschichte. Die Union zieht einen klaren Trennungsstrich, das schwarz-grüne Projekt ist gescheitert. Am 20. Februar 2011 wird Hamburgs Parlament neu gewählt. Wie kam es dazu? Und was bringt das Ende der Koalition den Hamburgerinnen und Hamburgern?
BILANZ DER SCHWARZGRÜNEN KOALITION
Die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft im Februar 2008 hatte mit 52,2 Prozent eine Mehrheit für eine Koalition aus CDU und GAL ergeben. In den mit großer Zustimmung an der grünen Basis aufgenommenen Koalitionsverhandlungen konnten kleinere Differenzen zwischen den Parteien schnell ausgeräumt werden. Bei den heftiger umstrittenen Themen mussten die Grünen allerdings manche dicke Kröte schlucken. So setzte sich die CDU mit ihrer Forderung nach einer weiteren Vertiefung der Elbe durch. Zu dem von der GAL scharf kritisierten Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg heißt es im Koalitionsvertrag lapidar: „Die zuständige Behörde entscheidet rechtlich über die Genehmigungs- und Erlaubnisanträge“. Der Bau des Kraftwerks wurde nur wenig später erlaubt – zweite schwere Niederlagen für die Grünen.
Auch ein Zankapfel: das Thema Schule. Wäre es nach der CDU gegangen, sollte es nach der Grundschule neben dem Gymnasium nur noch eine „Stadtteilschule“ geben. Die GAL plädierte dagegen für eine neunjährige Gemeinschaftsschule. Der Kompromiss: Die Grundschulzeit sollte von vier auf sechs Jahre verlängert werden. Doch daraus wurde nichts. Kritiker warfen der Bürgerinitiative vor, sie vertrete allein die Standesinteressen der reichen Hamburger Vororte. Damit war auch das ehrgeizigste Projekt der Grünen in wesentlichen Punkten gescheitert.
Auch in der Frage der Studiengebühren konnte die GAL nur einen schwachen Kompromiss durchsetzen: „Die Studiengebühren werden ersetzt durch nachgelagerte Gebühren, die nach Ende des Studiums, unabhängig vom Erreichen eines Abschlusses, gezahlt werden müssen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Viele Hamburger Studierende erkannten darin einen klaren Bruch grüner Wahlversprechen.
DER ANLASS FÜR DAS ENDE DER KOALITION
Insgesamt brachte die Koalition also kaum politische Erfolge für die GAL. Für Hamburgs Bürger war die Koalition allerdings noch weniger ein Fortschritt. Die Hansestadt hat die höchste Leiharbeitsqoute in ganz Deutschland, nirgendwo wird die Steuermoral von Millionären so nachlässig geprüft; trotz einer Neuverschuldung von 3,4 Milliarden Euro wird in den sozialen Bereichen gekürzt und Hamburgs Niedriglohnsektor floriert: Jeder hundertste Arbeitnehmer verdient trotz Vollzeitjob weniger als 400, jeder fünfte weniger als 2000 Euro.
Doch weder das Scheitern grüner Projekte noch die soziale Schieflage hat die GAL als Grund für den Koalitionsbruch angeführt. Den offiziellen Anlass boten vielmehr Personalprobleme in der CDU: Im März 2010 war Finanzsenator Michael Freytag zurückgetreten, im Juli ging Bürgermeister von Beust denselben Weg – damit waren zwei Gallionsfiguren des schwarz-grünen Projekts ausgeschieden. An von Beusts Stelle trat Christoph Ahlhaus – als innenpolitischer Hardliner eine Reizfigur für Basisgrüne und Opposition. Zuletzt hatte auch noch Finanzsenator Carsten Frigge das Handtuch geworfen. Gegen ihn wird wegen einer Finanzaffäre in der rheinland-pfälzischen CDU ermittelt.
TAKTIK STATT INHALT
Den Zeitpunkt des Koalitionsbruchs dürfte allerdings eine rund zwei Wochen vor der Entscheidung der GAL veröffentlichte Umfrage bestimmt haben. Sie hatte eine klare rot-grüne Mehrheit von 52 Prozent vorausgesagt. Damit hatte sich für die GAL eine äußerst günstige Situation ergeben: Während CDU mit ihren Personalproblemen als Bremser erschien, konnten die Grünen sich als zukunftsfähige Partei präsentieren. Mit dem Ausstieg aus der Koalition konnten sie dann gegenüber der SPD als Schrittmacher für eine rot-grüne Regierung auftreten. Obwohl die GAL zweieinhalb Jahre lang kaum Akzente gesetzt und die Situation vieler Hamburger nicht verbessert hatte, war sie so unversehens in eine ausgezeichnete wahltaktische Startposition geraten. Neueste Umfragen bestätigen das taktische Geschick: Die Mehrheit der Bürger gibt der CDU die Schuld am Scheitern der Koalition und die Partei kann am 20. Februar nur noch mit 28 Prozent der Stimmen rechnen. Die SPD könnte sich auf 45, die GAL auf 14 Prozent verbessern. Die Linke käme unverändert auf sechs, die FDP auf drei Prozent.
CHANCE FÜR EIN SOZIALERES HAMBURG
Taktische Überlegungen haben offenbar weit mehr zum Koalitionsbruch der GAL beigetragen als inhaltliche Differenzen zur CDU. Entsprechend wenig ließ die GAL bislang über inhaltliche Fragen verlauten. Trotzdem: Für Hamburgs Bürgerinnen und Bürger bietet das Ende der Koalition eine große Chance zur Verbesserung der sozialen Situation in der Stadt. Um diese Chance zu realisieren, müssen Gewerkschaften und soziale Bewegungen allerdings Druck auf Grüne und Sozialdemokraten ausüben. Gelingt das nicht, könnte die Neuwahl tatsächlich zu einer bloßen „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für zusätzliche grüne Funktionäre“ werden, wie Linksparteichef Klaus Ernst das strategische Ziel der GAL charakterisierte.
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