Wie stehen die Migrant_innen zum Klimaschutz?

Im Rahmen einer repräsentativen Untersuchung haben die Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften und das Ifeu-Instituts (Heidelberg) unter der Leitung von Prof. Dr. Marcel Hunecke und Prof. Dr. Ahmet Toprak insgesamt 1600 türkeistämmige und russischsprachige Migrant_innen sowie 400 Deutsche ohne Migrationshintergrund als Referenzgruppe zwischen 16 und 92 Jahren befragt. An der Studie war auch die Berliner Gesellschaft für Kommunikationsforschung Data 4U beteiligt, die insgesamt 1200 der benötigten Face-to-Face-Interviews durchgeführt hat.

Die Studie (quantitative Befragung) wurde in den vier Regionen Dortmund, Berlin, München und Baden-Württemberg mit dem Ziel durchgeführt, die Einstellungen der Migrant_innen zum Klimaschutz, ihr Umweltverhalten und die daraus resultierende CO2-Emissionen zu untersuchen. Die beiden Dortmunder Sozialforscher haben mit ihrem Team in dieser Erhebung umfangreiche und differenzierte Erkenntnisse zum klimarelevanten Verhalten der Bevölkerung mit türkeistämmigen und russischsprachigen Migrant_innen zusammengetragen. Die gewonnenen Daten sind in Deutschland einmalig, weil über diese beiden Migrantengruppen bis heute keine repräsentativen Untersuchungen vorliegen.

Der Fokus der Befragung lag auf den drei Verhaltensbereichen Mobilität, Ernährung und Energienutzung, zu denen nicht nur die entsprechenden Einstellungen erfasst, sondern auch die individuell verursachten CO2-Emmissionen quantifiziert wurden.

Im Rahmen der qualitativen Erhebung (face to face Befragung) wurden auf Grundlage der Zielgruppensegmentierung ausgewählte Interviewer der einzelnen Zielgruppen ein zweites Mal themenzentriert (siehe oben) an Hand eines Leitfadeninterviews vertieft und validiert. Die 72 qualitativen Interviews (jeweils 36 Interviews) wurden mit türkeistämmigen und russischsprachigen Migrant_innen in den oben genannten Regionen ebenfalls durchgeführt. Abschließend wurden vier Modellprojekte mit ausgewählten Migrantenorganisationen zielgruppen- und problemspezifisch im Rahmen unseres Forschungsprojekts mit dem Schwerpunkt „Sensibilisierung und Aktivierung des Umweltschutzgedankens“ wissenschaftlich begleitet und analysiert. Im Projekt EMIGMA wurden über die drei Jahre Projektlaufzeit umfangreiche Erkenntnisse über das Umwelt- und Klimaschutzverhalten von türkeistämmigen und russischsprachigen Migrant_innen sowie über relevante psychologische Einflussfaktoren erhoben. Die Handlungsempfehlungen sind Produkt dieser Erkenntnisse und basieren somit nicht nur auf der repräsentativen Erhebung und den vertiefenden Interviews, sondern auch auf den praktischen Erkenntnissen der Modellprojekte und dem Erfahrungswissen von Praxisakteuren, die uns im Laufe des Projektes beratend zur Seite standen und mit denen zu bestimmten Themen und Fragestellungen zusätzlich Experten_inneninterviews durchgeführt wurden. Auf der Fachtagung am 30.09.2013 wurden die abschließenden Ergebnisse des EMIGMA- Projektes präsentiert und anhand von Workshops vertiefend bearbeitet.

Im Rahmen der Studie wurden insgesamt 1600 Face-to-Face-Interviews durchgeführt. Hierzu wurden durch die Data 4U insgesamt in Berlin, München und Baden-Württemberg je 200 russischsprachige und je 200 türkischsprachige Personen befragt. Die Interviews in Dortmund und die 400 Interviews mit Deutschen ohne Migrationshintergrund sind durch die Fachhochschule Dortmund bzw. das Ifeu-Institut erhoben worden.

Die zentralen Ergebnisse dieser repräsentativen (qualitativ und quantitativ) Untersuchung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Deutsche sind umweltbewusster als Migrantinnen, belasten das Klima aber durchschnittlich stärker durch höhere CO2-Emissionen.

Deutsche weisen die höchste PKW-Orientierung auf und verursachen auch die meisten CO2-Emissionen mit dem PKW. Russischsprachige hingegen bewerten die Erlebnisqualität von Bus und Bahn am höchsten und nutzen Bus und Bahn von allen drei Gruppen am häufigsten.

Auch wenn Bioprodukte im Jahr 2010  von der überwiegenden Mehrheit der Befragten (ca. 80 Prozent) gekauft wurden, so erfolgte dies nur im geringen Umfang bzw. selten. Türkeistämmige Migrant_innen schreiben Bioprodukten im Vergleich zu russischsprachigen Migrant_innen und Deutschen dabei ein ungünstigeres Kosten-Nutzenverhältnis hinsichtlich Geschmack und Gesundheit zu.

Ökostrom wird von den Migrant_innen nur selten bezogen: 1,3 Prozent der Türkeistämmigen und 2,8 Prozent der  Russischsprachigen nutzen den Ökostrom. Im Vergleich dazu liegt der Ökostromanteil bei den Deutschen doppelt bzw. fünfmal so hoch, nämlich bei 6,5 Prozent.

Das Klimaschutzengagement in Organisationen ist in allen drei untersuchten Gruppen eher gering; dabei fällt der Anteil an Personen, die sich überhaupt engagieren, bei den Deutschen im Vergleich zu den Migrant_innen fast doppelt so hoch aus.

Das Klimaschutzengagement wird in allen drei Gruppen durch die gleichen psychologischen Einflussfaktoren bestimmt: Umweltaktivisten sind davon überzeugt, einen persönlichen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten und sich hierbei nicht durch persönliche Anstrengen davon abhalten zu lassen. Weiterhin fühlen sich bei ihrem Umweltschutzengagement einer Gruppe von Gleichgesinnten zugehörig.

Migrant_innen stellen keine homogene Gruppe hinsichtlich des Klimaschutzes dar. Zur Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen sollten daher unterschiedliche Zielgruppen differenziert werden. Zur Förderung des Klimaschutzengagements sollten bei Türkeistämmigen das Ausmaß der Integration berücksichtigt werden. Bei Russischsprachigen erweist sich das Ausmaß der Integration vor allem für die Gestaltung von Maßnahmen zur Förderung einer umweltschonenden Verkehrsmittelnutzung als relevant.

Zentrale Schlussfolgerungen

Die Nutzung von Bus und Bahn stellt für russischsprachige Migrant_innen eine klimaschonende Alternative zur PKW-Nutzung dar.

Das Bewusstsein für den subjektiven Nutzen (Geschmack, Gesundheit) von Bioprodukten sollte insbesondere bei den  türkeistämmigen Migrant_innen gesteigert werden.

Gut für das Klima und vergleichsweise leicht umsetzbar: Sowohl türkeistämmige als auch russischsprachige Migrant_innen für die Nutzung von Ökostrom gewinnen.

Das Engagement zum Klimaschutz kann sowohl bei den beiden Migrantengruppen, als auch bei den Deutschen  durch ein psychologisches Empowerment gefördert werden, dass sich in der folgenden individuellen Überzeugung zusammenfassen lässt: „Ich kann etwas verändern, auch wenn es anstrengend ist und ich mich dabei Gleichgesinnten zugehörig fühle“.

Unsere Handlungsempfehlungen beziehen sich auf: Akteur_innen aus Migrantenorganisationen (bspw. Moscheevereine, Alevitische Gemeinden, Elternvereine, Frauenvereine, russische und türkische Kulturvereine), Umweltschutzorganisationen (bspw. BUND, Greenpeace, Nabu) und anderen Einrichtungen und Unternehmen (bspw. die Verbraucherzentralen, Stadtwerke, Verkehrsunternehmen) dabei zu unterstützen, den Nachhaltigkeitsgedanken in den türkischen und russischen Communities zu verbreiten. Türkeistämmige und russischsprachige Migrant_innen sollen gezielt für den Klima- und Umweltschutz sensibilisiert und zu Verhaltensänderungen sowie zum Umweltschutzengagement auf institutioneller Ebene motiviert werden.

Kontaktdaten:

Prof. Dr. Marcel Hunecke
E-Mail: marcel.hunecke@fh-dortmund.de
T: 0231 755-5188

Prof. Dr. Ahmet Toprak
E-Mail: ahmet.toprak@fh-dortmund.de
T: 0231 755-6294

Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.

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