Feindbild Linke und Muslime – Rückblick auf die Innenpolitik
Ulla Jelpke *
Die von der „Bürgerrechtspartei“ FDP vor der Bundestagswahl angekündigte Wende bei der Politik der „inneren Sicherheit“ ist mit ihrem Eintritt in die Bundesregierung weitgehend ausgeblieben.
In der ersten Jahreshälfte stimmte die Bundesregierung dem neuen SWIFT-Abkommen des Rates der EU zu: Den USA wird damit weiterhin der Zugriff auf europäische Kontodaten eingeräumt. Auch die Wiedereinführung der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung bleibt auf der Agenda der Sicherheitspolitiker der Unionsparteien. Da dies für FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als frühere Klägerin gegen die Vorratsdatenspeicherung mit komplettem Gesichtsverlust verbunden wäre, ist sie zumindest hier bislang bei ihrem Nein geblieben.
Nachdem de Maizière sich anfangs mit Panikmache zurückhielt, wurde im November landesweiter Terroralarm ausgerufen, der dafür gleich bis in das nächste Frühjahr anhalten soll. Ergänzend zu der von Ex-Bundesbankvorstandsmitglied Thilo Sarazzin entfachten Hetze gegen angebliche muslimische Integrationsverweigerer kam nun wieder das Feindbild des „islamistischen Terroristen“ zum Tragen. Berlins Innensenator Körting (SPD) rief gar dazu auf, „seltsam aussehende“ arabisch-sprechende Menschen bei der Polizei zu denunzieren. Zu Anschlägen kam es tatsächlich – innerhalb eines halben Jahres wurde sechs Mal Feuer an Berliner Moscheen gelegt.
An Bahnhöfen und Flugplätzen marschierten angesichts der ominösen Terrorwarnungen mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten auf. Das Szenario eines Al-Qaida-Sturmes auf das Reichstagsgebäude wurde an die Wand gemalt. Solch Bilder sind allemal ein Instrument, Stimmung für die weitere Stärkung des Sicherheitsapparates zu machen. Zeitgleich legte eine vom Bundesinnenminister eingesetzte Kommission unter Leitung des früheren Verfassungsschutzchefs Eckart Werthebach im Dezember entsprechende Vorschläge für eine Zusammenlegung von Bundeskriminalamt und Bundespolizei vor – heraus käme ein Apparat, der die quasi-geheimdienstlichen Befugnisse des BKA mit der bundesweiten Struktur der Bundespolizei unterfüttert.
Rapide angestiegen ist die Zahl von Verfahren gegen „terroristische Vereinigungen im Ausland“ nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch. Im Frühjahr 2010 liefen bereits 155 Ermittlungsverfahren allein gegen den „religiös motivierten, insbesondere islamistischen Terrorismus“. Der Grund für den Anstieg ist allerdings hausgemacht: Militante Widerstandsaktionen gegen die deutschen Besatzungskräfte in Afghanistan werden zum 129b-Fall. Auch anatolische Linke wurden aufgrund dieses Paragraphen – vor allem aufgrund von Beweismaterial aus der Türkei – zu Haftstrafen bis zu sieben Jahren verurteilt.
Nachdem bereits im Koalitionsvertrag der unselige Extremismusansatz eine Gleichsetzung von Neonazis und ihren antifaschistischen Gegnern vornimmt, richtete sich das Feuer von Sicherheitspolitikern fortan vor allem auf die radikale Linke. Das spiegelte sich in reißerischen Presseberichten über angeblich massiv angestiegene linke Gewalttaten einschließlich Angriffen auf die Polizei wieder. Ein genauerer Blick allerdings zeigte, wie manipuliert die von Sicherheitsdiensten und Innenministern erhobenen Vorwürfe sind: Generell wird nicht zwischen der Einleitung von Ermittlungsverfahren und deren Ausgang unterschieden. Und schon die Weigerung, Straßenblockaden gegen Naziaufmärsche zu beenden, wird unter „Widerstand“ gefasst. Die Bundesregierung brachte schließlich einen Gesetzentwurf auf den Weg, der härtere Strafen für den Widerstand gegen Polizisten vorsieht.
Gemeinsam mit paramilitärischen Gendarmerieeinheiten aus anderen Ländern probte die Bundespolizei im Sommer im brandenburgischen Lehnin die Bewältigung bürgerkriegsähnlicher Unruhen. Tatsächlich zeigte sich 2010 ein Aufschwung außerparlamentarischer Bewegungen. Sowohl in Stuttgart gegen das milliardenteure Bahnhofsprojekt „S 21“ als auch im Wendland gegen den Castor-Transport gingen Zehntausende auf die Straße. Obwohl die Demonstranten sich ausgesprochen friedlich verhielten wurden sie massiv mit Pfefferspray beschossen. Trotz hunderter Verletzter in Stuttgart – einem Rentner wurde von einem Wasserwerfer das Augenlicht geraubt – verteidigte die Polizeiführung ebenso wie die CDU-geführte Landesregierung von Baden-Württemberg den Einsatz als angemessen. Gleichzeitig betreibt die Bundesregierung nun den Austausch der bisherigen Wasserwerfer der Bereitschaftspolizeien durch neue noch leistungsfähigere Fahrzeuge. Der Castor-Einsatz zeigte auch, dass der großzügige Datenaustausch mit ausländischen Repressionsbehörden um die praktische Kooperation ergänzt wird. Vor Ort waren unter anderem Polizisten aus Russland, Kroatien und Holland, um zu lernen, wie man mit Demonstranten umspringen kann, während ein Polizist der französischen Eliteeinheit CRS gleich aktiv mit prügelte.
Die Herrschenden in Deutschland und Europa bereiten sich weiterhin auf die Niederschlagung sozialer Unruhen vor – die militanten Massenproteste in Griechenland oder Streiks in Frankreich haben das Protestpotential deutlich gemacht. Es ist zu befürchten, dass das polizeiliche Vorgehen gegen protestierende Bürger in Stuttgart und dem Wendland hier nur ein Vorspiel war.
Die Autorin ist Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die LINKE im Bundestag.
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