Erfolg der Klüh-Rebellen in Düsseldorf
Arbeitsgericht stellt Betriebsübergang fest
Das hatte sich Rechtsanwalt Helmut Naujoks zu einfach vorgestellt. Er hatte die multinationale Reinigungsfirma Klüh beraten, wie sie eine kleine rebellische Belegschaft und deren Betriebsrat loswerden könnte. Am Düsseldorfer Flughafen hatten sich die Putzfrauen und -männer von der Klüh-Flugzeugreinigung, die vor allem die Flieger von Air Berlin gereinigt hatten, in jahrelangen Auseinandersetzungen bessere Arbeitsbedingungen erkämpft und ein solidarisches Verhalten untereinander entwickelt. Um diese Belegschaft loszuwerden, kündigte Klüh die Schließung des Betriebs zum Jahresende an. Den Auftrag behielt aber Klüh, indem nun die Leiharbeitsfirma DLG, eine Tochterfirma von Klüh, die Flugzeuge von Air Berlin putzt. Einige ArbeiterInnen der alten Firma wurden übernommen, aber alle vom Betriebsrat oder andere „Unruhestifter“ erhielten natürlich kein Angebot, sondern nur eine Abfindung (siehe die Berichte in Yeni Hayat vom 18.10.2010 und 25.01.2011).
Soweit der Plan – und zunächst schien er auch aufzugehen. Ingesamt 29 der nicht von der DLG Übernommenen klagten vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf. Sie pochten darauf, dass die Firma faktisch von der DLG übernommen wurde, und nach § 613a BGB müssen bei einem solchen „Betriebsübergang“ alle ArbeiterInnen von der neuen Firma weiterbeschäftigt werden, mit ihren vorherigen Rechten – so wie ein Hauskäufer auch die Mieter des Hauses übernehmen muss. Da Klüh/DLG und ihre Rechtsanwälte diese Rechtslage kennen, hatten sie sich einiges ausgedacht, um es als normale Betriebsschließung darstellen zu können: Sie hatten darauf geachtet, nur etwa der Hälfte eine Weiterbeschäftigung anzubieten; sie hatten ein paar Kleinigkeiten in der Arbeitsorganisation und bei den Putzmitteln geändert, neue Autos angeschafft usw. In den ersten Prozessen kamen sie damit durch. Die Arbeitsrichter fragten gar nicht weiter nach, schluckten ohne Beweisaufnahme alle Behauptungen der Firma und entschieden in mehreren Fällen, dass es sich nicht um einen Betriebsübergang handeln könne und daher die Kündigung rechtmäßig gewesen sei.
Exemplarisches Urteil – auch für andere Belegschaften
In zwei Prozessen, dem des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden und einer Kollegin, entschied die 10. Kammer unter dem Vorsitz von Arbeitsrichter Oliver Klose am 11. März aber anders, was eine kleine Sensation darstellt. Nach einer sehr detaillierten und präzisen Beweisaufnahme in zwei mehrstündigen Kammerterminen kam das Gericht zu dem Urteil: Es handelt sich um einen Betriebsübergang, der Auftrag ist faktisch im selben Konzern geblieben und die beiden Entlassenen müssen von der DLG weiterbeschäftigt werden. Wie kam es zu diesem Urteil und was bedeutet es?
Im Unterschied zu den anderen Verfahren hatte Richter Klose von Anfang an klargemacht, dass ihm die politische Brisanz des Verfahrens bewusst ist: Der Auftrag verbleibt im Konzern, vom Betriebsrat wird keine und keiner übernommen, die alten Betriebsvereinbarungen, mit denen die Arbeitsbedingungen etwas verbessert werden konnten, werden ausgehebelt. Der § 613a war genau deswegen geschaffen worden, um ein solches Unterlaufen von Arbeiterrechten zu verhindern. Entsprechend genau ließ er sich den ganzen Vorgang darstellen und bohrte bei jedem Detail nach. Da waren zum Beispiel eine ganze Reihe von Leiharbeitern der DLG, die schon vor dem Übergang zur Klüh-Flugzeugreinigung geschickt worden waren, um sie in die gar nicht so einfache Arbeit einzuweisen. Die neue Arbeitsorganisation durch kleine Funkgeräte, die den Putzleuten nach jedem Einsatz sofort den nächsten zuweisen und sie ununterbrochen an ihre akkordmäßigen Vorgabezeiten erinnern, waren auch nicht so neu: Klüh hatte sie schon im alten Betrieb einführen wollen, war damit aber am Widerstand des Betriebsrats gescheitert. D.h. die angebliche Betriebsschließung sollte auch dazu dienen, endlich diesen Betriebsrat loszuwerden und die mit extremer Arbeitsverdichtung verbundene neue Organisation einführen zu können. Bei der Befragung durch den Richter verwickelten sich die Rechtsvertreter von Klüh und DLG ständig in Widersprüche oder stammelten herum. Damit hatten sie nicht gerechnet und sie waren entsprechend schlecht vorbereitet. Der Richter machte sich auch darüber lustig, dass sie ständig von „wir“ sprachen, obwohl es sich doch angeblich um zwei völlig unterschiedliche Firmen handeln soll. Bei den anderen Arbeitsrichtern waren sie mit allgemeinen Behauptungen und ihrem arroganten Auftreten durchgekommen. Aber Richter Klose ließ sich das nicht bieten und nahm die Aussagen der Entlassenen, die an vielen Punkten den Behauptungen der Firma widersprachen, sehr ernst.
Formal hatten sich die anderen Arbeitsrichter und die Firma auf ein Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) von 1997 gestützt. Demnach müssen bei Putzfirmen mehr als zwei Drittel der Belegschaft übernommen werden, damit es sich um einen „Betriebsübergang“ handelt. Und so ein kleiner Arbeitsrichter hat in der Regel keine Lust, sich viel Arbeit zu machen, und wagt es schon gar nicht, in offenen Widerspruch zum BAG, der höchsten deutschen Instanz, zu geraten. Aber mittlerweile sind die wichtigsten rechtlichen Kriterien zur Frage des Betriebsübergangs vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg präzisiert worden, der in einigen Fällen auch die Urteile des BAGs als zu eng verworfen hat. Das Düsseldorfer Arbeitsgericht stellte am 11.3. klar, dass es nicht allein darauf ankommt, wieviel Prozent der alten Belegschaft übernommen wurden, sondern auch auf die Weitergabe von Know-How und die Verbindungen zwischen alter und neuer Firma – in diesem Fall beide Klüh.
Das Urteil zeigt, dass es sich lohnt, dieses dreiste Unterlaufen von Schutzrechten, das heute überall praktiziert wird, nicht einfach hinzunehmen. In diesem Fall konnte auch juristisch gezeigt werden, was politisch ohnehin offen zu Tage lag: Dass es Klüh – in Absprache mit Air Berlin – nur darum ging, den kämpferischen Kern der alten Belegschaft loszuwerden und die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern zu können. Es ist schade, dass solche kleinen Erfolge heute immer öfter in Arbeitsgerichtsverfahren und nicht durch offene Kämpfe und Streiks durchgesetzt werden – wie auch im Fall der KollegInnen von TMD in Leverkusen oder DPD in Duisburg. Aber das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Gewerkschaften, die in all diesen Fällen nicht zu Kampfmaßnahmen gegen offensichtliches Unrecht bereit waren. Gegen das Urteil wird Klüh sicherlich in die zweite Instanz gehen, aber mit diesem sehr präzise begründeten Urteil in der ersten Instanz dürfte es für Klüh und Naujoks schwer werden, ihr Manöver so einfach durchzuziehen. Daher kann dieses Urteil auch anderen Belegschaften Mut machen und eine Anregung für sie sein, solchen Tricks zur Aushebelung unserer Rechte entschlossener entgegenzutreten.
Christian Frings
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