Diese Schmerzen haben keinen Preis!
Erst verloren sie ihre Väter, Ehemänner und Söhne, dann wurden sie als Täter beschuldigt, ihnen wurden Verbindungen zu der Mafia vorgeworfen, Mord aus Geldgier unterstellt. Sie wurden stundenlang verhört, unter Druck gesetzt und im Ungewissen gelassen – jahrelang.
Die Hinterbliebenen der acht Türken, die von der NSU-Terrorzelle erschossen wurden, haben nicht nur einen geliebten Menschen verloren, sondern auch sich selbst. Die Entwicklungen nach den Taten haben tiefe Spuren in den Seelen dieser Menschen hinterlassen und sie gebrochen. Die falschen Anschuldigungen haben den Druck sich rechtfertigen zu müssen mit sich gebracht. Ihr Umfeld, ihre Freunde und die Gesellschaft ächtete sie, schloss sie aus und mied sie, schließlich wurde einigen Opfern Drogenhandel, Verbindungen zur Mafia und illegale Geschäfte unterstellt. Den Hinterbliebenen wurde keine Zeit zum Trauern und Abschied nehmen zugestanden.
Als bekannt wurde, dass die rechtsradikale NSU-Terrorzelle hinter den Morden steckt, waren sie erleichtert und erschrocken. Der Prozess gegen Beate Zschäpe und die Terrorhelfer wird Ihnen nicht helfen zu vergessen oder zu vergeben; aber helfen ein wenig Gerechtigkeit zu bekommen Und das ist das einzige, was sie möchten, damit sie ihren Frieden schließen können. Doch kurz vor dem Prozessbeginn ist eine neue Diskussion entfacht, die diese Menschen wieder an den Pranger stellt. Ihnen wird Geldgier vorgeworfen, weil sie die Unkosten, die durch die Prozessverschiebung entstanden sind, erstattet bekommen sollen.
Familie Şimşek
Psychisch am Ende
Enver Şimşek war das erste Opfer der brutalen Mordserie durch die NSU. Er war 38 Jahre alt als er erschossen in seinem Kleinlaster neben seinem Blumenstand gefunden wurde. Er hinterließ seine Frau und zwei Kinder. Während er mit neun gezielten Kopfschüssen im Krankenhaus lag, wurden seine 14-jährige Tochter Semiya und sein 13-jähriger Sohn von der Polizei verhört. Es waren weder die Mutter, noch ein Anwalt dabei. Seiner Ehefrau wurde immer wieder von einer zweiten Frau erzählt, mit der ihr Mann ein Verhältnis hat – es gab weder eine Affäre, noch eine zweite Frau. Adile Şimşek brach nach dem Mord an ihrem Mann und den Verhören seelisch und körperlich zusammen. Sie verkaufte den Blumenladen von Enver Şimşek und ging in die Türkei zurück. Sie lebt ohne ihre Kinder zurückgezogen für sich und kann wegen der schweren Depression, unter der sie leidet, nicht arbeiten. Semiya Şimşek hat ihre Trauer um den Tod des Vaters in einem Buch niedergeschrieben, ihr Bruder Kerim studiert.
Familie Yaşar
Erdrückt von Schulden
Ismail Yaşar aus Nürnberg wurde am 9. Juni 2005 ermordet. Er hatte sich kurz vor seinem Tod von seiner Frau Belgin Ağırbaş scheiden lassen und hinterließ einen Sohn: Kerim. Ismail Yaşar galt als der beste Dönermann der Stadt, doch kurz nach dem Mord wurde dem Mann aus dem türkischen Şanlıurfa an der Grenze zu Syrien Verbindungen zur Mafia und Drogenschmuggel unterstellt. Als seine Ex-Frau am Tatort zusammenbrach wurde sie von den Polizisten auf die Wache gebracht und verhört. Sie übernahm die Schulden ihres Mannes und versuchte sie mit den Einnahmen ihrer Schneiderei zu begleichen. Aufgrund des psychologischen Drucks durch die Polizei und des Umfelds musste die Frau ihren Laden schließen und ging zurück in die Türkei.
Familie Kılıç
Psychische Belästigung
Habil Kılıç war das vierte Opfer der NSU-Terrorzelle. Der Obsthändler wurde am 29. August 2001 erschossen. Er hinterließ seine Ehefrau Pınar und die 12-jährige Tochter Damla. Der Laden im Erdgeschoss des Hauses blieb monatelang geschlossen und durfte aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht geöffnet werden. Die Familie verlor ihre Einnahmequelle und geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Am Ende verloren Sie Heim und Arbeit. Pınar Kılıç musste Tellerwaschen gehen und wurde wie die Familien der anderen Opfer psychisch belästigt, genauso wie Damla, die am Ende die Schule verlassen musste.
Familie Turgut
40 Stunden verhört
Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 in einem Dönerladen in Rostock erschossen, in dem er arbeitete. Er war mit dem Pass seines Bruders Yunus nach Deutschland gekommen und nach der Tat wurden seine Verwandten 4 bis 5 mal mehr als 10 Stunden verhört.
Familie Taşköprü
Laden geschlossen
Süleyman Taşkörpü wurde am 27. Juni 2001 in Hamburg ermordet. Er hinterließ eine dreijährige Tochter. Der Laden, in dem der Obsthändler erschossen wurde, wurde nach der Tat nicht gereinigt. Sein trauernder Vater Ali Taşkörpü: „Ich hätte den Laden, in dem ich das Blut meines Sohnes mit eigenen Händen wegwischen musste, nicht einmal dann wieder betreten, wenn er voll mit Gold wäre.“ Der Obstladen musste geschlossen werden. Obwohl die Eltern von Süleyman Taşkörpü Deutschland verlassen wollten, entschieden sie sich zum bleiben, um bei ihrer Enkelin zu sein. Auch Taşkörpü wurde Drogenhandel und Verbindungen zur Mafia unterstellt.
Familie Kubaşık
Angst auf die Straße zu gehen
Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2004 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Er hinterlässt drei Kinder: Zwei Söhne und eine Tochter. Auch nach seinem Tod blieb sein Kiosk mehrere Monate geschlossen. Als die Familie die Schulden nicht mehr begleichen konnte, schlossen sie den Laden und mussten soziale Unterstützung beantragen. Seine Ehefrau Elif Kubaşık befand sich nach dem Mord an ihrem Ehemann fünf Jahre in Therapie. Als die NSU-Terrorzelle aufflog und als Täter der Mordserie identifiziert wurde, musste sie erneut psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Am Tattag stürmten Polizisten mit Hunden die Wohnung der Familie, die gerade 300 Trauergäste zu Besuch hatte. Die Tochter Gamze Kubaşık musste wie die anderen Opferkinder schwere Zeiten überstehen, nachdem ihrem Vater Verbindungen zur Mafia unterstellt wurde. Der Druck war so groß, dass die junge Frau ein Jahr lang nicht die Wohnung verlassen konnte.
Familie Özüdogru
Ausbildung abgebrochen
Abdurrahim Özüdogru wurde am 13. Juni 2001 in Nürnberg erschossen. Der Schneider hinterließ seine Ehefrau Gönül und Tochter Tülin, die beide an verschiedenen Leiden erkrankten. Die beiden Frauen gerieten in finanzielle Schwierigkeiten und mussten als Putzfrauen und Reinigungskräfte arbeiten. Tülin Özüdoğru war zum Zeitpunkt des Mordes Studentin. Sie flog zur Beerdigung ihres Vaters in die Türkei und kam zu spät zur Prüfung, zu der sie nicht mehr zugelassen wurde. Sie unterbrach ihr Studium und hat es nicht mehr abgeschlossen. Eines Abends las sie Berichte und Nachrichten über ihren Vater, am nächsten morgen hatte sie ihren Hörsinn verloren und litt lange darunter.
Familie Yozgat
Sie wollten nicht zu viel
Halit Yozgat ist das letzte Opfer der NSU-Terrorzelle. Der 21-jährige, der in Deutschland geboren wurde und die doppelte Staatsbürgerschaft hatte, wurde im Internetcafé seines Vaters in Kassel erschossen. Er hinterließ seine weinenden Eltern, deren Tränen immer noch nicht getrocknet sind. Nachdem die NSU-Terroristen als Täter ermittelt wurden, hatte der Vater Ismail Yozgat nur einen Wunsch: Er wollte, dass die Straße, in der sein Sohn geboren wurde und starb, nach ihm benannt wird. Diesen Wunsch erfüllte man ihm teilweise. Nicht die Holländische Straße, aber ein Platz in der Nähe trägt nun den Namen “Halit Yozgat Platz“. Der Vater, dem man die Schmerzen aus dem Gesicht lesen kann, bringt bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck, dass sie kein Geld haben wollen, sondern Gerechtigkeit.
Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.
Was kann es denn mit Geldgier zu tun haben, wenn Menschen Kostet erstattet bekommen, die sie nur deswegen haben, weil ein Gericht einen fatalen Fehler gemacht hat, der dazu führt, daß der Prozessbeginn verschoben werden muß? So ein Blödsinn! Außerdem dachte ich, der Freistaat Bayern hätte ohne entsprechende Forderungen Schadenersatz angeboten. Den um nichts anderes geht es hier. Es ist Schadenersatz, hat also nichts mit Bereicherung zu tun. Ansonsten wäre eine Entschädigung für die jahrelangen falschen Anschuldigungen und den psychischen Stress, dem die Opferfamilien durch die Ermittlungsbehörden ausgesetzt waren, ebenfalls nur recht und billig. Immerhin haben sie sich ja nicht selbst in diese Lage gebracht. Das Leben eines Familienmitglieds wurde durch rechtsextreme Terroristen genommen und die Ermittlungsbehörden haben ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht.