Betroffene brauchen mehr Rechte und Schutzeinrichtungen

Vor wenigen Wochen präsentierte Familienministerin Kristina Schröder die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland“, die im Auftrag ihres Ministeriums erstellt wurde. Zu den Ergebnissen der Studie sprachen wir mit RA Dr. Hayriye Yerlikaya, Anwältin und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Migrantinnen.

Neues Leben (NL): Das „Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend“ (BMFSFJ) hat eine neue Studie zu „Zwangsverheiratung in Deutschland“ vorgelegt. Wie schätzt Du die Ergebnisse hinsichtlich der effektiven Bekämpfung von Gewalt bzw. Zwangsverheiratung ein?

Hayriye Yerlikaya: Die Studie selbst habe ich bislang nur als Kurzzusammenfassung gelesen, daher kann ich auf die Ergebnisse nicht detailliert eingehen. Ein Ergebnis ist, dass Zwangsehen eher in gewaltgeprägten Familien vorkommen. Ich habe im Rahmen meiner Doktorarbeit zum Thema Zwangsehen eine qualitative Studie mit 15 betroffenen Frauen durchgeführt. Dieses Ergebnis stimmt auch mit dem Ergebnis aus meiner Studie überein. Zum anderen wird gleich in der Einleitung der Zusammenfassung der Studie darauf hingewiesen, dass über den Bezug von Zwangsehen zur Religiosität keine Aussage getroffen werden könne, da dies nicht zum Gegenstand der Untersuchung gemacht worden sei. Dennoch betont Frau Schröder in ihren Statements oft, dass Zwangsehen auffällig häufig in religiösen Familien verzeichnet worden seien. Diese Aussage führt zur irrigen Inbezugsetzung von Zwangsehen mit Religiosität, ohne eine wissenschaftliche Legitimation hierfür zu haben. Ganz im Gegenteil, in der Kurzfassung der Studie wird ausdrücklich betont, dass eine solche Aussage gerade nicht getroffen werden könne. Die Verzerrung der Ergebnisse in den Medien führt die Debatte daher von einer effektiven Bekämpfung der Zwangsehen weg zu einer stigmatisierenden Integrationsdebatte und zu einer „zum Opfer werden“ von (potentiellen) Opfern.

 

Die Regierungsparteien haben in der Vergangenheit bereits eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, um Zwangsverheiratung zu bekämpfen. Viele Frauen- und Migrantinnenorganisationen antworteten darauf mit breitem Protest.  

Zu Recht! Statt zu helfen, hat die Regierung die rechtliche Lage von betroffenen Frauen eher verschlechtert! So beim Familiennachzug (Sprachnachweis) oder bei der Verlängerung der Ehebestandszeit. Letztere zwingt Frauen statt wie bisher zwei Jahre nunmehr sogar drei Jahre in der Zwangsehe auszuharren. Damit aber Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können, muss das unabhängige Bleiberecht für Frauen unabhängig vom Ehemann endlich eingeführt werden. Auch stellt die Einführung des Straftatbestandes § 237 StGB „Zwangsheirat“ keine geeignete Maßnahme dar. So verstößt der Tatbestand gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Bestimmtheit, da aufgrund der schwierigen Abgrenzbarkeit zwischen sog. arrangierten Ehen und Zwangsehen nicht deutlich genug bestimmt werden kann, welches Verhalten denn nun von dem Straftatbestand erfasst ist. Außerdem ist äußerst zweifelhaft, ob die dem Straftatbestand unterstellte Signalwirkung potentielle Täter oder Opfer überhaupt tatsächlich erreicht.

 

Zeitgleich zur Studie hat das Ministerium sein neues Angebot für betroffene Frauen präsentiert: Das bundesweite Hilfstelefon. Hilft es wirklich Frauen, sich aus Gewaltsituationen zu befreien?
Ein Hilfstelefon ist sicherlich geeignet, Frauen in ihrer Konfliktsituation eine niedrigschwellige Beratung zu öffnen, ohne dass sie dabei großartig aktiv werden müssen. Das Hilfstelefon ist ein erster Schritt und stellt Weichen für weitere Hilfe. Wenn man aber bedenkt, dass parallel dazu immer mehr Frauenschutzeinrichtungen geschlossen und weitere finanzielle Kürzungen vorgenommen werden, ist das Hilfstelefon ein unzureichender Trost für betroffene Frauen.

 

Wie schätzt Du die als Ergebnis angegebene Zahl der Zwangsehen ein?

Als Ergebnis zum Ausmaß von Zwangsehen in Deutschland wurde verkündet, dass innerhalb des Jahres 2008 knapp 3.500 Beratungen in diversen Frauenhilfseinrichtungen zum Thema Zwangsehen vorgenommen wurden. Die Studie betont jedoch, dass diese Zahl lediglich eine „Brutto-Größe“ darstelle, da von Mehrfachberatungen auszugehen sei. Die Daten hierzu sind im Wege der Befragung verschiedener Frauenhilfseinrichtungen erhoben worden. Ich habe Zweifel daran, dass die erhobenen Daten verlässliche sind. Denn es ist im Einzelfall schwierig, eine Zwangsehe von einer sog. arrangierten Ehe abzugrenzen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Beratungsfälle als Zwangsheiratsfälle in die Statistik eingegangen sein könnten. Eine hohe Zahl von verzeichneten Fällen bringt zum anderen die Legitimation der staatlichen Förderung vieler Einrichtung mit sich. Da leider viele Frauenhilfseinrichtung nur projektbezogen finanzielle Förderung erhalten, wird eine hohe Zahl von Fällen sicher auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Förderung erhöht haben, so dass auch dieser Umstand möglicherweise zu einer großzügigeren Erfassung von Zwangsheiratsfällen geführt haben könnte.

 

Worin liegen für Dich die konkreten politischen Maßnahmen, um effektiv Frauen vor Zwangsverheiratung bzw. vor Gewalt im familiären Kontext zu bekämpfen?

Die meiner Ansicht nach effektiveren Maßnahmen sind der Bundesregierung und auch den Landesregierungen von vielen Sachverständigen bereits im Rahmen mehrfacher Anhörungen mitgeteilt worden: Es müssen Frauenschutzeinrichtungen erweitert und finanziell gefördert werden, potentielle Opfer müssen Handlungskompetenzen erlernen, potentielle Täter müssen über die Konsequenzen einer Zwangsehe für die Opfer aufgeklärt werden . Denn aus meiner Studie ging hervor, dass die von mir interviewten Betroffenen beinahe einhellig davon ausgingen, dass ihre Eltern vorwiegend zum vermeintlichen Wohl der Opfer gehandelt und ihre Taten im Nachhinein bereut hätten. Darüber hinaus müssen Berufsgruppen wie Lehrer, Ärzte, Polizisten, Jugendamtsmitarbeiter, Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte, Psychologen zum Thema Zwangsehen geschult und sensibilisiert werden. Aus meiner Sicht stellt auch die interkulturelle Mediation einen wichtigen Schritt dar, präventiv auf potentielle Täter und Opfer einzuwirken und so den von vielen Opfern unerwünschten Bruch mit der eigenen Familie zu verneiden.

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