Volksentscheid erfolgreich – Wasserversorgung soll rekommunalisiert werdenAli Candemir
Am vergangenen Samstag waren 2,5 Millionen Berliner dazu aufgerufen worden, über die Offenlegung der Geheimverträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe aus dem Jahr 1999 abzustimmen. Trotz der relativ geringen Wahlbeteiligung von 27,5% stimmten 665 000 Berliner für den Gesetzesentwurf. Das entspricht einer Zustimmung von 98,2%. Der Berliner Senat, allen voran der regierende Bürgermeister Wowereit sahen den Volksentscheid für überflüssig an, da zuvor 700 Seiten der Verträge veröffentlicht wurden. In den bislang geheim gehaltenen Verträgen werden den Privatinvestoren Gewinngarantien gegeben, so dass die Wasserpreise seit der Teilprivatisierung erheblich gestiegen sind und nunmehr deutschlandweit mit an der Spitze liegen. Schon in anderen europäischen Hauptstädten führten Öffentlich – Private Partnerschaften (ÖPP) dazu, dass Wasserpreise enorm stiegen, gleichzeitig die Wasserleitungen nicht instand gesetzt wurden. In London versickert so zum Beispiel ein großer Teil des Wassers im viktorianischen Rohrsystem. Weder effizienter noch einfacher ist die Wasserversorgung damit geworden. Seit 2002 wurden in Deutschland 159 ÖPPs abgeschlossen.
„Hocherfreut und Müde, so fühle ich mich. Aber es stimmt mich auch traurig, dass so wenig Berliner für ihr Wasser interessiert sind. Leider ist vielen noch nicht klar, wie wichtig es ist, die öffentliche Daseinsfürsorge nicht zu privatisieren. Aber es geht nicht nur ums Wasser. Es geht auch um Gas, Strom, Verkehr, Gesundheit und Bildung müssen in öffentlicher Hand sein. Und ich hoffe, dass wir hiermit einen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben. Dies kann richtungsweisend für andere Kommunen sein.“, so Silvia vom Berliner Wassertisch, welcher den Volksentscheid vor vier Jahren ins Rollen gebracht hat an der Wahlparty des Wassertisches. Thomas Rudek, Initiator des Berliner Wassertisches und Autor des Gesetzesentwurfes, mit ersten Gedanken zum erfolgreichen Volksentscheid im Interview.
Herzlichen Glückwunsch zunächst zu dem erfolgreichen Volksentscheid. Die Anzeichen für einen Erfolg standen zunächst sehr schlecht. Weder die lokale Politik, noch Medien haben ihnen genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht. Wie bewerten sie vor diesem Hintergrund den Erfolg?
Ich glaube wir haben versucht, sehr viele Bürger mit ins Boot zu holen. Wir haben auch bewusst dafür gesorgt, dass unser Flyer mehrsprachig, unter anderem auch ins Türkische übersetzt worden ist. Im Gegensatz zu Herrn Sarrazin nehmen wir unsere türkischen Mitbürger sehr ernst. Wir sind daran interessiert, sie ins Boot zu holen. Sie sollen mitbestimmen. Sie sollen an dem politischen Prozess teilhaben und ich bin mir auch sehr sicher, dass heute türkische Mitbürger mit „Ja“ gestimmt haben.
Wie wird es nun weitergehen? Wie genau sieht die künftige Strategie des Berliner Wassertisches aus?
Wir werden versuchen auf verschiedenen juristischen Ebenen gegen die Verträge vorzugehen. Jetzt wird das Gesetz hoffentlich erst mal rechtsverbindlich. Dann geht es um die Offenlegung der Verträge. Wir werden die offengelegten Verträge juristisch überprüfen. Wir sind ja nur eine kleine Bürgerinitiative. Da ist es klar, dass wir vor allem auf juristischen Beistand und Sachverstand angewiesen sind, da tausende Seiten Verträge und Unterlagen durchgeprüft werden müssen. Dabei appellieren wir an kritische Juristen, die uns tatkräftig unterstützen können. Andererseits müssen wir uns um eine kostengünstige Rekommunalisierung kümmern. Denn wir wollen ja nicht, dass das passiert, was in Potsdam passiert ist. Dort wurde auch rekommunalisiert. Jedoch hinter verschlossenen Türen. Die Bürger wurden nicht miteinbezogen. Mit dem Resultat, dass der beteiligte Konzern in Potsdam noch viel Geld damit verdient hat. Die Potsdamer müssen nun noch höhere Wasserpreise zahlen, als wir in Berlin. Wir wollen die Bürger darüber entscheiden lassen, was eine Rekommunalisierung kosten und wie sie aussehen soll. Da sind schon neue Ideen im Kopf, welche wir auf einer künftigen Pressekonferenz vorstellen werden. Dann wird es wahrscheinlich ein neues Volksbegehren geben. Denn ich glaube, viele Menschen haben begriffen, dass man mit einer direkten Demokratie nicht nur etwas abstimmt, sondern Gesetze macht. Wir machen Gesetze für die Bevölkerung, nicht wie die Politik, die Gesetze für die Wirtschaft macht. Bürger machen Gesetze für Bürger.
Nach dieser langen und sicher kräftezehrenden Zeit, in der die Initiative tausende Flyer verteilt, Plakate und Sticker geklebt und Unterschriften gesammelt hat, steht sie nun vor einem Etappensieg. Wie fühlt sich das für Sie an?
Wissen sie, wir haben jetzt 4 Jahre dafür gekämpft. Ich habe den Gesetzestext vor 4 Jahren geschrieben, die ganze Öffentlichkeits- und Koordinierungsarbeit gemacht. Aber das Volksbegehren ist ein Erfolg von sehr vielen Menschen. Wir bedanken uns wirklich bei allen, die auch ihre eigenen Netzwerke aktiviert haben, das Gesetz gelesen und unterstützt haben. Mit ihren Freunden und Bekannten geredet und sie dazu überzeugt haben, mitzumachen. Das ermuntert uns natürlich auch, weiterzumachen. Die Menschen sind auf den Geschmack gekommen und da werden wir nachlegen und nicht nachgeben. Ich bin sehr dankbar und glücklich dafür.
Mehr Transparenz
Ali Candemir
Die Offenlegung der Geheimverträge zwischen den Berliner Wasserwerken und den Privatinvestoren RWE und Veolia steht nach dem erfolgreichen Volksentscheid kurz bevor. Mit diesem Votum haben die Berliner ein Zeichen für mehr Transparenz der öffentlichen Grundversorgung und Abkehr von Öffentlich–Privaten Partnerschaften gesetzt. Auch wenn der Senat noch die Möglichkeit besitzt, den erfolgreichen Gesetzesentwurf der Berliner auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, so gilt doch als sicher, dass der Wille der Bevölkerung Gesetz wird. Wenn die Verträge europarechtlich für nichtig erklärt werden, so könnten die Rekommunalisierung lediglich 400 Millionen Euro kosten, da die ursprüngliche Zahlung der Investoren von 1,7 Milliarden Euro mit den ausgezahlten Gewinnen von 1,3 Milliarden Euro verrechnet würden.
Unterdessen sieht der Informationsfreiheitsbeauftragte des Bundes, Peter Schaar eine Signalwirkung des erfolgreichen Volksentscheids. „Die Bedeutung dieses erfolgreichen Volksentscheids geht weit über die Hauptstadt hinaus. Auch die Bundesregierung und der Bundestag sollten sich dieses Ergebnis zu Herzen nehmen und daraus lernen. Die Offenlegung von Verträgen zwischen Staat und Unternehmen gehört jetzt auf die Tagesordnung.“ „ Hier dürfen die sogenannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht länger als Transparenz-Sperre für Bürgerinformation wirken…Der Zugang zu staatlichen Informationen ist unverzichtbar, insbesondere wenn die öffentliche Hand sich privater Unternehmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient. Die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zum Zugang zu diesen Informationen sollten verbessert werden…Dies ist eine Bringschuld der öffentlichen Hand.“, so Schaar.
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