Böse Fatmas leben länger – 1985

Mein Vater war nun zehn Jahre in Deutschland und hatte bereits den Grundstein für die Heimkehr gelegt. Er besaß ein Stück Land, das er seinem Vater dreimal abgekauft hatte, darauf standen drei Gewächshäuser und mitten in der Stadt prunkte sein schickes Haus. Und das war das Problem. Also das Haus. Es hatte nur zwei Stockwerke. Unten befanden sich Laden- bzw. Büroräume, oben eine Wohnung. Beide mit geräumigen 150 qm. Aber er hatte ja drei Töchter. Deshalb beschlossen meine Eltern, das Haus um zwei weitere Etagen aufzustocken.

Weil Bauen Geld kostet, ist mein Vater dieses Jahr alleine in die Türkei geflogen. Mama und wir Mädchen blieben in Deutschland. Als mein Vater nach drei Wochen wiederkam, hatte er viel zu erzählen. Nur nichts Gutes. Das Haus war zwar erst ein paar Jahre alt, sah aber bereits aus wie eine Ruine. Denn die Baufirma, die Oma Fatma und Opa Veli beauftragt hatten, hatte ordentlich gepfuscht. Anstatt für die Fassade ordnungsgemäßes Baumaterial zu nehmen, waren sie mit dem Laster an den Strand gefahren und hatten dort die Ladefläche mit Sand gefüllt. Aufgrund des hohen Salzgehaltes darin und der enormen Hitze in Gazipaşa hatte unser Haus schon hübsche Risse an der Außenwand und sah aus als hätte es einem Erdbeben der Stärke 10 auf der Richterskala tapfer standgehalten.

Er musste also eine neue Baufirma finden, entsprechende Genehmigungen einholen und das Geld auftreiben, um loslegen zu können. Papa hatte darauf spekuliert, dass seine Eltern wie besprochen die Gewächshäuser verpachtet hatten.

Hatten sie nicht. Sie hatten ihre beiden jüngsten Söhne gezwungen für sie Gurken anzupflanzen und zu ernten. Nur den Verkauf hatten selbstverständlich sie selbst übernommen.

Papa stand also da, um mit nichts ganz viel zu machen. Er machte sich an die Arbeit. Ebenso wie Oma Fatma und Opa Veli. Zum ersten Mal seit Jahren hatten sie sich gefreut als sie ihren Sohn wiedersahen. Denn er war alleine gekommen. Ohne seine Frau und seine angeblichen Töchter. Schnell setzte Oma Fatma das Gerücht in die Welt, dass meine Eltern sich getrennt hätten. Sie erzählte rum, dass meine Mutter nun mit einem Hans zusammenlebt, der ihren Schilderungen nach auch der richtige Vater von uns ist. Natürlich tat sie das ohne Trauschein und trank den ganzen Tag Bier.

Das Problem war, dass Oma Fatma tatsächlich dachte, das etwas mit der Ehe meiner Eltern nicht stimmt. Warum war denn mein Vater allein in die Heimat gereist? Damit er nicht länger allein blieb, machten sich meine Großeltern auf die Suche nach einer Frau für ihn. Diesmal eine, die sie auswählten. Nie wieder würden sie ihrem dummen Kind so eine wichtige Entscheidung allein treffen lassen.

Mein Vater hatte auf dem französischen Gymnasium in Alanya, das er besuchte, eine Klassenkameradin, die Opa Veli nachhaltig beeindruckt hatte. Er erinnerte sich daran wie sie mit einem charmanten Pariser Akzent ”La cravate“, also die Krawatte, sagen konnte. Opa Veli sprach selbst fließend Französisch. Am Ende des osmanischen Reiches war eine der Besatzungsmächte, die es sich in Anatolien gemütlich gemacht hatte, Frankreich. Ich weiß nicht wie, aber Opa Veli hatte sich mit einigen Franzosen angefreundet. Es ist natürlich kein Wunder, dass er sich mit dem Feind verbrüdert hatte. Dabei hatte er eine außergewöhnliche Vorliebe für das Land und seine Leute entwickelt. Es kamen sogar später immer wieder Franzosen zu ihm ins Macardorf zu Besuch. Keine Ahnung warum und überhaupt keine Ahnung warum zu Opa Veli. Sein rechthaberisches Gebrüll in den Männercafés verglich er gerne mit den intellektuellen Gesprächen, die von intelligenten Menschen in den Pariser Establishments geführt wurden. Also macht er sich auf die Suche nach der besagten Klassenkameradin und fand sie. Sie konnte immer noch so chic ”La cravate“ sagen, war immer noch Einzelkind, hatte immer noch reiche Eltern und das Beste war, sie war immer noch nicht verheiratet. Opa Veli lud sie ein. Natürlich kannte sie seine Hintergedanken nicht, aber freute sich ihren alten Schulfreund wiederzusehen. Das Treffen lief nicht so ab, wie mein Opa es sich vorgestellt hatte. Papa und die Schwiegertochter in spe unterhielten sich die ganze Zeit über uns, also über Papas Töchter. Sie redeten über die alten Zeiten und Papa verriet ihr, dass ein anderer Junge aus der Klasse sehr verliebt in sie war und er auch noch nicht verheiratet ist. Sie sagte, dass Papa gerne Amor spielen und die beiden verkuppeln darf. Das tat er auch. Zum Abschied tat sie Opa Veli noch einen Gefallen und sagte nur für ihn: ”La cravate“. Nach dem sie weg war, beschimpfte mein Opa seinen dummen Sohn, sagte, dass er nicht klüger ist als ein Baguette und haute ihn dabei mit einem Fladenbrot.

Aber zum Glück hatte Oma Fatma eine Alternativkandidatin. Fatima. Sie mochte ihren Namen und sie mochte, dass sie Vollwaise war. Ihre Eltern waren gestorben und hatten ihr und ihrem verheirateten Bruder viel Land hinterlassen. Fatima war, um es freundlich auszudrücken, nicht besonders hübsch, aber dafür besonders stämmig, sehr tüchtig und sehr, sehr naiv. Sie widersprach nie, wenn Oma Fatma sie netterweise beschimpfte und tat alles, was sie ihr befahl. Die ideale Schwiegertochter. Der Traum aller Schwiegermütter. Und der Alptraum meines Vaters. Er wollte sie damals als er jung und ledig war nicht und jetzt erst recht nicht mehr. Das hinderte Oma Fatma nicht daran, Fatima einzureden, dass mein Vater wegen ihr meine Mutter verlassen hat und sie unbedingt heiraten möchte. Fatima hatte schon immer eine Schwäche für meinen Vater und da sie nicht mehr die Jüngste war, freute sie sich ihn am Ende doch zu bekommen.

Motiviert vom Oma Fatmas täglichen Aufmunterungen stand sie bereits mit den Hühnern auf, nahm ihnen die Eier weg und marschierte ins Schlafzimmer meines Vaters, um mit ihm im Bett zu frühstücken. Sie wusch seine Sachen, bügelte seine Hemden. Aber sie bediente nicht nur meinen Vater, sondern auch Oma Fatma. Den ganzen Tag. Fatima melkte die Kühe, Fatima kochte das Essen, Fatima putzte das Haus, Fatima tat einfach alles, was man ihr auftrug. Und Papa tat alles, um sie loszuwerden, vergeblich. Er lernte schnell sie zu ignorieren. Wir haben später erfahren, dass Fatima noch Wochen nach Abreise meines Vaters bei meinen Großeltern blieb und ihnen diente. Irgendwann griff ihr Bruder ein und zerrte sie zurück nach Hause. Oma Fatma redete ihr ein, dass eine glückliche Ehe mit ihrem Sohn nur deshalb nicht zustande gekommen ist, weil ihr gieriger Bruder nicht wolle, dass sie heiratet. Fatima glaubte ihr.

Während mein Vater auf der einen Seite von Fatima verwöhnt wurde, verschonten ihn auf der anderen Seite die türkischen Behörden nicht im geringsten. Für viel Aufwand und viel Geld bekam er die Baugenehmigung und beauftragte ein Unternehmen, das nur noch von meinem Onkel mütterlicherseits beaufsichtigt werden durfte. Eines Tages rief er in Deutschland an und bat meine Mutter, ihm schnell 40.000 DM vom Sparkonto zu schicken. Also die gesamten Ersparnisse. Mama wollte genau wissen wofür, aber Papa wich aus und tat so als würde er das Geld für das Haus brauchen. Nachdem er mehrmals schwören musste, dass er keinen Pfennig davon seinen Eltern gibt, bekam er das Geld. In Deutschland angekommen, musste er Mama gegenüber gestehen, dass er dafür 5 Hektar Land in Standnähe gekauft hat. Sie bekam eine Krise und machte dem armen Mann zehn Jahre lang Vorwürfe, jeden Tag. Erst als ein Anruf von einer Hotelkette kam, die für ihre Erbin bekannt ist, schwieg sie. Für immer. Denn der Hotelmanager machte meinem Vater ein Millionenangebot für sein Grundstück. Unbeeindruckt lehnte Papa das Geld ab und reibt seinen Erfolg meiner Mutter unter die Nase. Seitdem jeden Tag. Es ist nicht so, dass mein Vater selbst irgendetwas darauf gebaut hätte. Er denkt noch nach, was man mit dem Land machen könnte. Aber Oma Fatma und Opa Veli schon. Mehrmals stellten Sie ein “Zu Verkaufen“-Schild auf, aber die Landübergabe scheiterte jedesmal daran, dass die Interessenten schnell merkten, dass die Besitzurkunde nicht für das Land meines Vaters, sondern für Oma Fatmas Gärtchen im Dorf galt. Manchmal saßen meine Großeltern auch einfach nur auf ihren Klappstühlen, die sie dort aufgestellt hatten und taten so als würde es ihnen gehören. Irgendwann kam ihnen die Idee, ein Häuschen rund um die Klappstühle zu bauen. Opa Veli und Oma Fatma zimmerten aus einigen Brettern eine Einzimmer-Hütte, ohne Boden, ohne Küche und Bad. Als wir das nächste Mal in die Türkei reisten, präsentieren sie uns ihr schickes Sommerhaus. Es stand schief, schräg und armselig zwischen den prächtigen Bauten drum herum. Ja, wer braucht schon ein 5-Sterne Hotel, wenn man so eine Strandhütte hat. Wer braucht Opa Hilton, wenn er Oma Fatma und Opa Veli hat?!

Candan Six-Sasmaz

Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.

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