„Wir bleiben entschlossen, denn es geht um unsere Gleichberechtigung – ohne wenn und aber“
Sidar Demirdögen
Jetzt, wenn wir als Verband kritisch zurückblicken auf die bisherigen Etappen unserer Arbeit, so stellt sich für uns ein Bild mit vielen Motiven. So sehen wir die Debatten um Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen und häuslicher Gewalt, die in den letzten Jahren maßgeblich den öffentlichen Blick auf das Leben von Migrantinnen geprägt haben. Getragen wurden sie von der Strategie der Regierung und dem breiten Kreis der etablierten Parteien, die sozialen Zusammenhänge auf die Kultur und Herkunft zu reduzieren – wobei der Begriff „Kultur“ hier regelrecht missbraucht und als Synonym für „Religion“ verwendet wurde.
Das Motiv auf unserem Bild zeigt Migrantinnen, die als kopftuchtragende, entmündigte, schutzbedürftige „Muslimin“, die zunächst im Herkunftsland mehrere Tausende Euro für einen Deutschkurs bezahlen, einen Deutschtest vor Abreise nach Deutschland über sich ergehen lassen muss, in Fällen von Zwangsverheiratung statt 2 Jahre nun 3 Jahre eine Ehe ausharren muss und sich erst dann rechtlich aus den Fängen der Ehe befreien darf. Die Verlängerung der Rückkehroptionen von 3 Monaten auf 10 Jahren (jedoch nur für diejenige Personengruppe mit einem langen Voraufenthalt in Deutschland) ist einzig dem breiten Widerstand von Frauenorganisationen zu verdanken. Auf die Zurückdrängung der Frage von Gleichheit zwischen Mann und Frau in die Kategorie der Religion reagierten Migrantinnen zweierlei. Zum einen mit einem regelrechten „Boom“ an muslimischen Frauennetzwerken oder ähnlichen Gruppen (zum Teil mit gegensätzlichen Zielen – entweder mit direktem Bekenntnis zum Glauber oder in Abgrenzung), zum anderen mit Protesten von Wissenschaftlern, deutschen Frauenverbänden und einiger Migrantenverbänden – wie auch unseres. Auf die Frage, ob es Frauen vor Gewalt in all seinen Formen im Wesentlichen geholfen hat, bleibt auch heute klar: Nein.
Dieses Nein gilt auch für andere zentrale Themen, wie bspw. bei der Ausweitung von Minijobs, befristeten und ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen, bei der Lohngleichheit oder bei der Betroffenheit von Armut, die durch die Abwälzung der Krisenlast auf die Bevölkerung vorangetrieben wurde. Unvergesslich bleibt der Satz in unseren Ohren „In Zeiten der Krise, sollten Frauen wieder sich auf das Kinderkriegen besinnen“.
Dieses Jahr feierten wir Frauen den 100. Jahrestag des Internationalen Frauentags, der symbolisch für den Kampf um Gleichstellung und Gerechtigkeit steht. Mit Aktionen, Feiern und Demonstrationen begangen Frauen unterschiedlicher Herkunft den 8. März und verstärkten u.a. ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn und dem Ende des Niedriglohnsektors. In die Kette der beeindruckenden Kämpfe von Frauen der letzten Jahre gehört zweifellos der Arbeitskampf der GebäudereinigerInnen im Jahr 2009, die mit sich nicht über Hungerlöhne verhandeln ließen! Hunderttausende Frauen und Männer, die bisher als „die Unsichtbaren“ kaum wahrgenommen wurden, wehrten sich gegen die unmenschliche Behandlung der Arbeitgeber und wurden endlich sichtbar! Gerade in der Gebäudereinigung arbeiten viele Frauen, darunter viele Migrantinnen, in prekären Verhältnissen.
Migrantinnen, die so oft in den Medien als hilflos, desinteressiert und „ungebildet“ dargestellt werden, bewiesen durch ihren Kampf genau das Gegenteil. Auch die so oft hoch beschworenen unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Deutschen und Migranten lösten sich in der Luft auf, sobald das Gemeinsame in Vordergrund gestellt wurde. Nicht nur Probleme aussprechen, sondern in Aktion treten, sich organisieren und gemeinsam handeln – so lautet unser Grundsatz seit der Gründung unseres Verbandes. Auf unserer diesjährigen Konferenz und Mitgliederversammlung wollen wir daher stärker den Bereich der Gebäudereinigung behandeln, Erfahrungen austauschen und Perspektiven für zukünftige Aktionen konkretisieren.
Unsere Konferenz öffnet ihr Programm für einen besonderen Geburtstag, den wir inhaltlich und feierlich begehen möchten: 50 Jahre Arbeitsmigration aus der Türkei. Auf der langen Reise nach Deutschland, die vor 50 Jahren begann, nahmen auch Frauen ihre Koffer voller Hoffnungen mit auf den Weg in ein neues Leben. Sie kamen entweder als Pionierinnen, als kleines Kind, als Ehefrauen, Studentinnen oder Flüchtlinge nach Deutschland. Den Wunsch ein besseres Leben zu führen, teilen Frauen der ersten Generation ebenso, wie die jüngeren Generationen. Dies gilt sowohl für die Anerkennung ihrer Arbeit als auch ihrer gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft.
Inmitten dieser Entwicklungen werden wir Ende Oktober zu unserem 3. Kongress mit unseren Mitgliedern, Aktivistinnen und Freundinnen zusammen kommen, um zum Einen die Erfolge unserer Arbeit in den Ortsgruppen zu diskutieren und zukünftige Aktionen zu planen und zum Anderen, was viel wichtiger ist, die konkreten Probleme, die sich aus der praktischen Arbeit vor Ort ergeben, offen auszusprechen und nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Wir freuen uns auf jede einzelne Teilnehmerin und hoffen, dass unser Kongress das Selbstvertrauen unserer Mitglieder und Aktivistinnen stärkt und wir eine konkrete Arbeitsgrundlage für die nächste Zeit ausarbeiten.
Konferenz und Mitgliederversammlung des Bundesverbandes der Migrantinnen in Deutschland
Vom 28.- 30. Oktober 2011 beruft der Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. in Köln seine 3. Mitgliederversammlung ein. Seit der Gründungskonferenz im Jahr 2005 streitet der Verband für die Gleichberechtigung von Frauen und Migrantinnen – oder anders formuliert: seit nunmehr sechs Jahren versuchen Frauen mit türkeistämmigen Wurzeln, mit ihrer unabhängigen Verbandsplattform und entlang ihrer Forderungen, der sozialen und politischen Isolation zu trotzen und ihre Stimmen nach Entgeltgleichheit, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, sprachlicher und beruflicher Weiterbildung und einem friedlichem Zusammenleben zu bündeln. Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Migrantinnen, Sidar Demirdögen, hat für uns ihre Erwartungen und Forderungen geschrieben.
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