Kämpfen verboten?
Christian Frings
Am Morgen des 30. Septembers haben sich etwa vierzig ArbeiterInnen der Firma UNIVEG vor dem Arbeitsgericht in Duisburg versammelt. Sie zeigen sich solidarisch mit dem Betriebsrat Murat P., der auf Antrag der Betriebsratsmehrheit aus dem Gremium ausgeschlossen werden soll. Was war sein Vergehen? Hatte er etwa hinter dem Rücken der KollegInnen mit dem Arbeitgeber zusammengearbeitet? Oder sich von den Chefs bestechen lassen, um Unruhe im Betrieb zu verhindern? Ganz im Gegenteil. Murat hatte die KollegInnen darin unterstützt, gegen ihre Entlassung und gegen einen schlechten Sozialplan zu protestieren. Und er hatte das auch öffentlich getan, unter anderem im Gespräch mit dieser Zeitung. Das wird ihm nun zum Vorwurf gemacht: Er habe Interna aus dem Betriebsrat in die Öffentlichkeit getragen und andere Betriebsräte beleidigt. Aber worum geht es eigentlich? Der Betrieb wurde zum 15. Oktober geschlossen, wozu dann noch ein umständliches Verfahren zur Amtsenthebung? Die Hintergründe machen klar, worum es eigentlich geht.
Geräuschlose Abwicklung statt „heißem Herbst“
Angesichts von drastischen Sparmaßnahmen, Entlassungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen hatten die Gewerkschaften großspurig einen „heißen Herbst“ angekündigt. Gründe genug für ihn gäbe es. UNIVEG ist nur ein Beispiel von unzähligen, wie die Finanzkrise dazu benutzt wird, Arbeitsplätze zu zerstören, Leiharbeit auszuweiten und Löhne zu senken. In der Öffentlichkeit wird dies kaum wahrgenommen; es wird lieber darüber geredet, dass der „Aufschwung“ da ist. Und die betroffenen ArbeiterInnen hätten allen Grund, zu protestieren. Aber offiziell gibt es keine Proteste außer hin und wieder eine Großdemonstration. Selbst die bürgerliche Presse fragt sich und die Gewerkschaftsführer verwundert, wo denn der „heiße Herbst“ bleibt.
Am kleinen Beispiel der Firma UNIVEG mit ihren ehemals 250 Beschäftigen wird deutlich, warum es offiziell keine Proteste gibt und Deutschland so stolz darauf sein kann, dass anders als in Frankreich oder Italien der „soziale Frieden“ während der Krise gewahrt werden konnte. Besonders die Gewerkschaften sehen darin ihren Verdienst und erhoffen sich, dank dieser Leistung weiterhin von Unternehmern und Staat anerkannt und hofiert zu werden. Denn überall, wo es wirklich brenzlig wurde, wo KollegInnen gegen Entlassungen oder Verschlechterungen protestieren wollten, waren sie gleich zur Stelle und kümmerten sich um den sozialen Frieden.
Die formal selbständige Firma UNIVEG Duisburg Service GmbH mit ca. 250 Beschäftigten, davon 180 in Festanstellung, gehört faktisch zu zwei Großkonzernen. Der Duisburger Betrieb ist eine Filiale der UNIVEG Deutschland mit ca. 1000 Beschäftigten. Früher war es die 1×1 Fruchtunion, die seit 1919 mit dem Import von Bananen aus der Karibik groß geworden war. Im August 2008 war die Firma vom belgischen Multi UNIVEG übernommen worden, der mit knapp 10.000 Arbeitskräften in 25 Ländern einen jährlichen Umsatz von 3,3 Mrd. Euro (2009) im Fruchtgeschäft macht. Die Duisburger Firma arbeitete ausschließlich für die METRO, einen der weltweit größten Handelskonzerne mit 300.000 ArbeiterInnen in 150 Ländern. Als sich in der Krise die Gewinne nicht mehr durch die Ausweitung des Geschäfts vergrößern ließen, setzte die METRO vor allem auf Rationalisierungsmaßnahmen. Im Juni kündigte sie an, zum ersten Mal in ihrer Unternehmensgeschichte vier Standorte zu schließen und allein in Deutschland 900 Leute zu entlassen. Der UNIVEG in Duisburg wurde der Auftrag entzogen – die Arbeiten sollen in Zukunft in ihrem eigenen Betrieb gemacht werden.
Als die Geschäftsleitung den KollegInnen am 27. April mitteilte, dass der Betrieb zum 30. Oktober 2010 geschlossen werden müsse, brach für sie eine Welt zusammen. Die meisten haben hier schon seit zehn und mehr Jahren in Sechs-Tage-Woche und in Schichtarbeit geschuftet, Bananenkisten herumgeschleppt und Gemüse verpackt. Kein Traumjob, aber es war ein fester Arbeitsplatz – und die sind im Ruhrgebiet Mangelware. Die KollegInnen waren bereit, dafür zu kämpfen. Sie demonstrierten vor dem Werksgelände und wandten sich an die Öffentlichkeit und den Bürgermeister Sauerland (der allerdings kurz darauf mit seiner „Love Parade“ vor ganz anderen Problemen stand). Vor allem von ihrer Gewerkschaft Ver.di erhofften sie sich Unterstützung für ihre Aktionen.
Aber die zuständigen Gewerkschaftssekretäre drängten die KollegInnen, möglichst schnell einen Sozialplan zu unterschreiben und Ruhe zu bewahren. Angesichts der dünnen Kapitaldecke der formal selbstständigen GmbH in Duisburg sei nicht viel zu erwarten und im Übrigen bestehe die Gefahr, dass die Firma Insolvenz anmelde. Dann hätten die entlassenen ArbeiterInnen noch weniger zu erwarten. Ausgehandelt wurde ein denkbar schlechter Sozialplan mit 0,4 Bruttolöhnen pro Beschäftigungsjahr und der Regelung, dass ältere KollegInnen, die kurz vor der Rente stehen, leer ausgehen. Statt eine Kampagne gegen den verantwortlichen UNIVEG-Konzern zu entwickeln, statt die Verbindung zu METRO-Standorten zu suchen, die auch vom Sparkurs des Handelsriesens betroffen sind, zog sich die Gewerkschaft auf den formal rechtlichen Standpunkt zurück und setzte die unzufriedenen KollegInnen mit der leeren Drohung der Insolvenz unter Druck. Denn für den guten Namen UNIVEG würde „Insolvenz“ einen deutlichen Imageschaden bedeuten.
Repression gegen Proteste
In einer ersten Abstimmung im Betriebsrat, bei der ein Ersatzmitglied einen kranken Kollegen vertrat, stimmte das Gremium mit 5 zu 4 Stimmen gegen den Sozialplan. Die Gewerkschaftssekretäre und der Gewerkschafsanwalt setzten die Betriebsräte massiv unter Druck und forderten sie – sogar im Beisein der Arbeitgeberseite – dazu auf, endlich zuzustimmen. Weitere Proteste seien zwecklos. In anderer Zusammensetzung stimmte dann der Betriebsrat mit 5 zu 4 Stimmen zu und der Sozialplan wurde am 25. Juni unterzeichnet. Viele KollegInnen waren damit höchst unzufrieden, veranstalteten weitere Protestkundgebungen, unter anderem auch vor dem Büro ihrer Gewerkschaft ver.di (siehe Bild), von der sie mehr erwartet hatten. Sie redeten mit der Presse, aber nur ein paar Artikel in den Lokalteilen und in türkischen Zeitungen beschäftigten sich mit dem Konflikt. In dieser Situation wurde von der Betriebsratsmehrheit mit Unterstützung der Gewerkschaft das Ausschlussverfahren gegen Murat als einen der Wortführer des Protests angestrengt. Es ging im Wesentlichen darum, ihn einzuschüchtern und weitere Proteste zu verhindern. Noch ist nicht klar, ob das gelungen ist.
75 KollegInnen haben gegen ihre Kündigung geklagt; 68 von ihnen waren auch nicht bereit, auf das Angebot der Firma einzugehen, ihre Abfindung um 500 Euro (!) aufzustocken. Sie verlangen ihren Arbeitsplatz oder eine deutlich höhere Anhebung der Abfindung – und wollen dafür auch wieder auf die Straße gehen.
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