Festung Europa und die Krise an der Grenze

Özgün Önal

Das Coronavirus sorgt in großen Teilen der Welt für Angst und oberste Aufmerksamkeit. Menschen im reichen Deutschland ziehen sich mit ihren Familien und Partnern zurück, leben in Quarantäne, isolieren sich selber.

Aber schauen wir ca. 2.500 km weiter Richtung Osten, sehen wir sogenante Flüchtlingscamps mit bis zu 20.000 Menschen – Frauen, Männer, Jugendliche, Kinder, Familien. Angesichts des Winters, der Armut in den Camps und zusätzlich mit dem Faktor „Corona“, wird schnell deutlich, dass in den Flüchtlingscamps verheerende Bedingungen herrschen. Hinzu kommen tragische Umstände, wie z.B. ein Brand am 16. März, bei dem ein sechs Jahre altes Kind ums Leben kam.

Wir beobachten seit 2015, wie Geflüchtete auf unsicheren Schlauchbooten und gefährlichen Wegen versuchen, aus Kriegs- und Krisengebieten zu fliehen. Jährlich sterben tausende Menschen auf dem Weg nach Europa, teils wegen skrupellosen Schleppern und teils, weil Europa sich abschottet und zusieht, wie die Menschen ihrem Tod ausgesetzt werden.

Das Versprechen im Rahmen des EU-Türkei-Deals, ausgesuchte und anerkannte Flüchtlinge aus der Türkei in europäische Länder zu bringen, funktioniert ebenso wenig, wie die Relocation innerhalb der EU.

Während die Türkei der EU vorwirft, sich nicht an den Flüchtlingspakt von 2016 zu halten, erklärt die EU, dass der türkische Staatspräsident die Geflüchteten als Druckmittel benutze. Diese gegenseitige Schuldzuweisung ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Menschen immer noch  an der Grenze ums Überleben kämpfen.

Ein Skandal: Sie werden von  Neonazis aus Deutschland und Österreich auf der griechischen Insel Lesbos mit voller Gewalt davon abgehalten, in die EU zu gelangen. Diese Nazi-Schlägertruppen gehen auf Geflüchtete zu und verprügeln sie. Auch Hilfsorganisationen und Journalisten sind Ziel dieser Gewalttäter. Hilfsorganisationen zogen deshalb viele ihrer Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen zurück. Das wiederum bedeutet, dass Geflüchtete einer noch größeren Not ausgeliefert werden, als sie es bereits waren.

Die EU versucht, ihre Grenzen undurchdringlich abzuriegeln. An einigen Grenzabschnitten haben die Nationalstaaten meterhohe Stacheldrahtzäune errichtet, an anderen Abschnitten kommt die EU-Grenzschutzagentur Frontex zum Einsatz. Mittlerweile sollen auch Militäreinsätze dafür sorgen, dass Geflüchtete es nicht in die EU schaffen.

Letztlich sorgen die kostspieligen Investitionen vor allem dafür, dass die Fluchtwege für Schutzsuchende riskanter und teurer werden. Die Bundesregierung lehnt trotz Eskalationen auf den griechischen Inseln die Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftigen Menschen ab. Entgegen aller Menschlichkeit betreibt die Bundesregierung ihr geopolitisches Spiel mit der Türkei weiter, statt Menschen in Not zu retten, die derzeit mit Tränengas, Wasserwerfern und Blendgranaten von EU-finanzierten Grenzschützern zurück Richtung Türkei gedrängt und angegriffen werden.

Betrachten wir die ganze Situation im Kontext des Coronavirus, sei gesagt, dass mangelnde Sanitäranlagen, keine Hygiene sowie die große Menge an Menschen auf engstem Raum die Krise verschärfen können, mal abgesehen davon, dass „Lager“ grundsätzlich physisch als auch psychisch eine Entmenschlichung mit sich bringen. Florian Westphal (Geschäftsführer der MSF- Ärzte ohne Grenzen e.V.) äußert sich wie folgt dazu: “Es wäre unmöglich, unter den unhygienischen Bedingungen in Moria einen Ausbruch einzudämmen. Es ist dringender denn je, die Lager zu evakuieren und die Menschen in eine sichere Umgebung zu bringen.”

Über eine Aufnahme von schutzbedürftigen Minderjährigen ist die EU sich nicht einig. Gelingt es den Geflüchteten, doch noch irgendwie nach Europa oder nach Deutschland zu kommen, erwartet sie menschenverachtende Bedingungen, wie die überfüllten Flüchtlingsheime oder auch die endlose Bürokratie, um einen Asylantrag, gar zu schweigen die Abschiebung, die trotz Corona bis zum 12. März nicht ausgesetzt wurden.

Anstatt nach einer Lösung und menschenwürdigerer Asylpolitik in der gesamten EU zu suchen, bleibt die EU dabei, Griechenland lediglich personell oder teil-finanziell zu unterstützen. Nicht zuletzt kündigte die EU-Innenkommissarin Johansson auch ein freiwilliges Programm für Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat an. Einen Monat lang können sich bis zu 5000 Migranten melden, die vor dem 1. Januar in die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln gekommen sind. Im Gegenzug erhalten sie 2000 Euro.

Und erneut wird uns klar vor Augen geführt, dass vor allem die EU versucht auf finanziellem Weg, Menschen für eigene Interessen zu kaufen.

Derzeit leben in Deutschland mehr als 24.300 Afghanen, die ausreisepflichtig sind, weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Von einem grundsätzlichen Abschiebestopp redet das Bundesinnenministerium jedoch nicht. Somit sei gesagt, dass Tod und Leid zur Ausgrenzungs- und Abschreckungspolitik der EU gehören, die mit rassistischer Hetze und verschärfter Kriminalisierung der Migration einhergeht. Wir können offen erkennen, dass das Ergebnis dieser Politik genau das Gegenteil von “Fluchtursachen bekämpfen” ist. Um Fluchtursachen tatsächlich zu bekämpfen, muss die Bundesregierung mit Waffenexporten aufhören! Alleine im vergangen Jahr hat die Bundesregierung ihren bislang erzielten Rekord übertroffen. Bis Ende September stiegen die Ausfuhrgenehmigungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 75 Prozent auf 6,35 Milliarden Euro.

Die von der Bundesregierung geführte heuchlerische und profitorientierte Politik führt dazu, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen und jeden Tag um ihr Leben bangen müssen.

Der Beitrag Festung Europa und die Krise an der Grenze erschien zuerst auf Yeni Hayat.

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