Erdbeben-Experte: „Ein Driften wie Papier auf Wasser“
Zwei Erdbeben haben die Menschen in der Region um Wiesbaden und Mainz überrascht. Die Erde am Rhein wackelt häufig. Warum der Oberrheingraben eine anfällige Region ist, erklärt Experte Matthias Kracht vom Hessischen Erdbebendienst in Wiesbaden.
Herr Kracht, sind Sie heute Nacht aus dem Bett gefallen, als die Erde wackelte?
Kracht: «Ich habe das Beben heute Nacht selbst als tiefes Grollen gespürt und bin dann auch gleich ins Büro gefahren. Ich muss aber zugeben, dass ich auch schon ganz viele Erdbeben in meinen Urlauben verschlafen habe.»
Ist denn ein Beben in dieser Stärke eher ungewöhnlich?
Kracht: «Beben in dieser Stärke kommen ein bis zwei Mal im Jahr im Rhein-Main-Gebiet oder im Oberrheingraben vor. Etwas schwächere Beben in einer Stärke zwischen 2,0 und 2,9 registrieren wir bis zu 15 Mal, die sind dann aber kaum zu spüren. Das Epizentrum des Bebens lag in in Finthen westlich von Mainz, also in einer eher dicht besiedelten Gegend. Das schreckt natürlich mehr Menschen auf als zum Beispiel im Taunus, wo nicht so viele Menschen leben – und es sorgt entsprechend für mehr Medieninteresse. Etwa einmal in zehn Jahren ist allerdings auch mit einem mittelstarken Beben zu rechnen, das Gebäudeschäden und Betriebsstörungen verursachen kann. Starke und damit möglicherweise auch katastrophale Beben sind hier eigentlich nicht zu erwarten.»
Wie weit kann man den solch ein Beben spüren?
Kracht: «Beben wie das jüngste lassen sich in einem Umkreis von etwa 20 Kilometern spüren, in Wiesbaden also genauso wie in Mainz. Es kommt allerdings auch ein bisschen auf die Tiefe des Bebens an. Diese Tiefe wirkt sich dann auch auf mögliche Schäden aus. Schäden werden registriert etwa ab der Magnitude 3,5 auf der nach oben offenen Richterskala. Bislang wurden aber wegen der aktuellen Erschütterungen noch keine Schäden wie zum Beispiel Risse, heruntergefallene Ziegel oder zersprungene Fenster gemeldet – und dabei wird es wohl auch bleiben.»
Und warum bebt es in unserer Region mehr als zum Beispiel an der Ostsee?
Kracht: «Wir befinden uns hier auf der Eurasischen Kontinentalplatte. Der afrikanische Kontinent schiebt sich wie ein Stück Papier auf Wasser nach Norden und der Oberrheingraben ist eine Art Schwächezone auf unserer dort liegenden europäischen Platte. Bei diesem Driften bauen sich Spannungen im Untergrund auf, die sich dann plötzlich entspannen – und das spüren wir dann als Erdbeben. Ganz global gesehen schieben sich die Spannungen vom Mittelozeanischen Rücken im Atlantik zu uns hinüber, von unten her drückt Afrika. In Deutschland liegt das zentrale Erdbebengebiet im Oberrheingraben und setzt sich nach Nordwesten in der Kölner Bucht fort. Das ist ein Grabensystem, das hinaufgeht bis in die nordwestliche Nordsee.»
Immer wieder bebt es nachts. Wackelt die Erde da häufiger als tagsüber?
Kracht: «Nein, die Erde bebt nachts nicht häufiger, aber nachts nimmt man es eher wahr, vor allem weil es dann ruhig ist. Im Berufsverkehr kriegt man das natürlich weniger mit. Allgemein halten sich Beben nicht an Uhrzeiten. Ebenso kann man nicht behaupten, dass sich die Zahl der Beben in den vergangenen Jahrzehnten erhöht hat. Die Zahl bleibt eher konstant.»
Detaillierte Post auf SABAH AVRUPA – Die Türkische Tageszeitung.