DAS ERSTE MAL … UND DOCH EIN GELUNGENER AUFTAKT

Dieter Wegner
Sie stehen draußen – ein fremdes Gefühl. Denn sie streiken zum erstenmal in ihrem Leben. Auch der Arbeitgeber wird nach 50 Jahren, zum erstenmal mit einem Streik konfrontiert. Die Wut über die Zustände in ihrem Betrieb gärt seit Jahren. Es ist ein Familienbetrieb mit vier Eigentümern (zwei Generationen der Familie Krüger). Viele Arbeiter kriegen seit 10 bis 12 Jahren keine Lohnerhöhung mehr, andere werden weit über Tarif bezahlt, wieder andere werden sehr unterschiedlich für die gleiche Arbeit bezahlt, auch bei der Urlaubsregelung herrscht Willkür.

Das sind die Kolleginnen und Kollegen der Firma Neupack Verpackungen GmbH & Co KG in Hamburg-Stelllingen. Die KollegInnen aus dem Zweigwerk  Rotenburg/Wümme kommen zwei Stunden später mit dem Bus in Stellingen an. Sie werden freudig begrüßt. Insgesamt sind es 196 Beschäftigte. Sie stellen Verpackungen für Lebensmittel her. Heute jedoch ruht die Produktion, in Hamburg fast ganz, in Rotenburg ganz!

Schon Anfang Mai standen sie kurz vor einem Warnstreik, da boten die Eigentümer einen Tag vorher Verhandlungen über einen Tarifvertrag an. Wie sich herausstellte, war es reine Zeitverzögerung. Nun war die Geduld der KollegInnen zu Ende.

Am Montag hatte die Verhandlungskommission getagt, wie seit Mai so oft. Wieder ohne konkretes Ergebnis. Sie brachen die Verhandlungen ab. Schnell beriefen die Eigentümer noch eine Betriebsversammlung ein. Einer der Eigentümer appellierte an die Belegschaft: Wir Eigentümer müssen auch leben (bei 800 000 Euro Gewinn im letzten Jahr). Dies Argument muß wohl nicht sehr überzeugt haben, denn fast alle gingen raus. Die KollegInnen in Rothenburg/Wümme, eine gute Autostunde von Hamburg entfernt, wurden informiert und gebeten nach Hamburg zu kommen. Zur Unterstützung der Streikenden waren etliche KollegInnen vom Soli-Kreis Neupack zum Tor gekommen, darunter etliche Kollegen der IGBCE aus anderen Betrieben und von der DIDF informierte KollegInnen.

Die IG BCE hat für einen Wagen mit Brötchen, Kaffee und anderen Getränken gesorgt, ein Lautsprecherwagen ist auch da. Viele der Streikenden haben, wie man so sagt, einen Migrationshintergrund, haben verschiedene Religionen. Die sich verschlimmernden Verhältnisse im Betrieb haben Streit und Differenzen der letzten Jahre beseitigt. Alle wollen das eine: Verbesserungen durch einen Tarifvertrag, damit sie Regelhaftigkeit und Verläßlichkeit erlangen und die beleidigende Willkür aufhört.
Die Maßnahmen der Geschäftsleitung waren zum regelrechten Kleinkrieg ausgeartet, besonders gegen den Betriebsrats-Vorsitzenden Murat Günes. Er erhielt zweimal eine fristlose Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht mußte sich der Anwalt der Arbeitgeber ein großes Verwundern der Arbeitsrichterin gefallen lassen. Andere Betriebsräte erhielten Abmahnungen. Die in dieser Weise Angegriffenen ließen sich nicht provozieren.

Alle Streikenden sind neugierig, ob der Warnschuß des Warnstreiks ausreicht, daß die Arbeitgeber ihre Forderungen erfüllen. Oder ob es demnächst mit einen unbefristeten Streik weitergeht. Jedenfalls war es ein gelungener Auftakt.
Dazu beigetragen hatten auch kurze Solidaritäts-Statements von Kollegen aus anderen Betrieben und von Unterstützern.
Der Landesleiter der  IG BCE Nord,  Ralf Becker, sprach vom gemeinsamen Weg von Belegschaft und ihrer Gewerkschaft und dass der nächste Schritt der unbefristete Streik sei, falls die Eigentümer nicht einlenkten.

 

 

 

 

“Wir sind wie eine Faust”

 

Sibel Temiz: Seit über 10 Jahren kriegen wir keine Lohnerhöhung. Wir kämpfen für einen Tarifvertrag. Wir verlangen eine menschenwürdige Behandlung, wir wollen ja schließlich nicht die Firma haben. Der Arbeitgeber dachte wohl, das ist ein Juks und wir würden nicht streiken. Doch wir stehen hier und haben keine Angst.

 

Murat Günes (BR-Vorsitzender): Wir sind wegen der starren Haltung des Arbeitgebers hier. Er will so weiter machen, wie in den letzten 50 Jahren zuvor. Das, was er noch nicht verstanden hat, ist, dass wir uns jetzt organisiert haben. Wenn wir Arbeiter zusammenhalten, können wir viel erreichen. Als wir vor 10 Jahren den Betriebsrat gründeten und uns gewerkschaftlich organisierten, hat der Arbeitgeber alles mögliche getan, um uns daran zu hindern. Heute stehen wir hier gemeinsam wie eine Faust. Wenn er immer noch keine Einsicht zeigt, werden wir in unbefristeten Streik treten.

 

Hakan Celik: Ich bin seit 14 Jahren bei Neupack. Heute stehe ich mit Stolz für unsere Forderungen hier. Der Arbeitgeber möchte keine unserer Forderung erfüllen. Wir wollen nur unser Recht und das was uns zusteht.

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